Am 23. März 2017 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung von Nekane Txapartegi. Spanien hatte darum ersucht, weil die baskische Aktivistin, Journalistin und ehemalige Politikerin 2007 in einem Massenverfahren wegen Unterstützung der ETA zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Nekane macht jedoch geltend, die Verurteilung beruhe auf einem 1999 unter Folter erzwungenen Geständnis.

Mehrere Tage lang ist sie in vollständiger Isolation und unter absoluter Kontaktsperre (Incommunicado-Haft) verhört worden. Sie berichtet von Schlägen und sexueller Gewalt. Nach der Unterzeichnung eines vorgefertigten Geständnisses wurde sie in ein ordentliches Gefängnis überführt. Noch in Haft widerrief sie das Geständnis und erstattete Anzeige wegen Folter – die Untersuchung wurde eingestellt.

Folterungen durch die spanische Polizei sind bekannt: Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben Fälle baskischer Aktivist_innen dokumentiert und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Spanien mehrfach verurteilt, weil Vorwürfe von Misshandlungen nicht untersucht und die Verantwortlichen nicht angeklagt wurden.
Im Fall von Nekane liegen konkrete und individuelle Beweise vor: so belegen medizinische Berichte die Misshandlungen während der Incommunicado-Haft und es liegen Aussagen von Mitgefangenen vor. Auch Amnesty International untersuchte den Fall damals und erachtete die Foltervorwürfe als glaubwürdig. Heute kommt ein 2017 dem BJ eingereichtes Gutachten des Forensikers Dr. Önder Özkalipci und des Psychiaters Prof. Dr. Thomas Wenzel zum Schluss, dass Nekane gefoltert wurde.
Dieses Gutachten wurde gemäss dem sogenannten „Istanbul-Protokoll“ erstellt, dem von der UNO anerkannten Vorgehen zur Untersuchung von Foltervorwürfen.

Das BJ fällte einen politischen Entscheid, der juristisch nicht nachvollzogen werden kann. Das Bundesamt verneint die Realität von Folter in Spanien und behauptet, dass die Verfahren Spaniens zur Untersuchung der Vorwürfe den Vorgaben des Völkerrechts entsprechen würden. Obwohl es den Berichten inhaltlich nichts entgegnen kann, erachtet das BJ Nekanes Schilderungen als nicht glaubwürdig.
Mehr noch: Das gemäss dem Istanbul-Protokoll erstellte Gutachten wird nicht als Beweis anerkannt, sondern als „allgemeine Einschätzung und persönliche Meinungsäusserung“ abgetan. Gleichzeitig nimmt das BJ trotz Anträgen der Rechtsvertretung keine eigenen Abklärungen vor.
Der 2016 gestellte Asylantrag wurde nur zwei Tage nach der Bewilligung der Auslieferung vom Staatssekretariat für Migration (SEM) abgelehnt. Auch in diesem Entscheid sind zentrale Aspekte, wie etwa das erwähnte Gutachten, kaum abgehandelt worden. Vielmehr stützt sich die Begründung weitgehend auf die Unterlagen der spanischen Behörden. Die Frage, ob das Verfahren in Spanien zur Untersuchung der Foltervorwürfe menschenrechtskonform war, könne laut SEM „offen gelassen werden“.

Auch 17 Jahre nach der Annahme des Istanbul-Protokolls als UNO-Resolution, wird dieses wichtige Hilfsmittel, das der fast immer bestehenden Beweisproblematik in solchen Fällen begegnen sollte, weitgehend ignoriert.
Die DJS hatten bereits im Dezember 2016 einen von zahlreichen Organisationen unterzeichneten Aufruf verfasst und gefordert, dass die Schweiz ihrer Pflicht nachkommen und die Anwendung des Istanbul-Protokolls fördern sowie den Beweiswert von Gutachten, die gemäss diesem Protokoll erstellt werden, anerkennen muss. An dieser Forderung halten wir nach wie vor fest. Ein Verfahren, welches unter kompletter Missachtung des Istanbul-Protokolls erfolgt, kann keine Auslieferung rechtfertigen.

Melanie Aebli, Geschäftsleiterin DJS

Text erschienen im plädoyer 3/2017

Weitere Infos: www.freenekane.ch