Am 20. Juni 2013 hat das Obergericht des Kantons Bern einen Teilnehemer der Anti-WEF Demonstration vom Januar 2012 wegen vollendetem Landfriendesbruch verurteilt. Das Urteil entbehrt objektiver Masstäbe und ist als politisch anzusehen. Auf der Basis des problematischen und äusserst unklar formuliertem Tatbestand des Landfriedensbruchs werden wohl weitere solche Urteiel folgen.

Am 21.01.2012 sollte in Bern eine Demonstration gegen das WEF in Davos stattfinden. Wegen angeblichen Gewaltaufrufen, die im Vorfeld der Demonstration im Internet kursiert haben sollen, beschloss die Kantonspolizei, die Demonstration nicht zu dulden. Zu diesem Zweck wurden im Voraus Warte- und Festhalteräume im Parkhaus Neufeld aufgebaut. Am Nachmittag des 21.01.2012 kesselte die Polizei rund 120 Personen im Bollwerk auf dem Weg zum Versammlungsort ein. Bis zum Zeitpunkt der Einkesselung war es zu keinerlei Gewalttaten gekommen. Die Einkesselung und die anschliessenden Festnahmen erfolgten präventiv.
Im Mai 2012 wurde einer der Verhafteten Mittels Strafbefehl wegen Landfriedensbruch verurteilt. Gegen den Strafbefehl – der nur eine all zu knappe Sachverhaltsschilderung enthält und die erfolgte Einkesselung nicht einmal erwähnt, obwohl diese einen entscheidenden Moment darstellen dürfte – wurde Einsprache erhoben. Vom Regionalgericht Bern-Mittelland wurde der Beschuldigte Ende 2012 wegen versuchtem Landfriedensbruch schuldig gesprochen; Er hatte an einer Demonstration teilgenommen, anlässlich welcher es zu Gewalttätigkeiten gekommen wäre, wenn die Polizei nicht frühzeitig eingeschritten wäre – eine rein hypothetische Argumentation, die nach objektiven Massstäben nicht zu belegen ist und deshalb der gerichtlichen Überprüfung nicht unterliegen. Gegen dieses Urteil legte der Beschuldigte Berufung beim Obergericht des Kantons Bern ein. Die Staatsanwaltschaft zog nach und erhob Anschlussberufung – jedoch beschränkt auf die beim Regionalgericht milder ausgefallene Sanktionierung. Am Donnerstag 20.06.2013 fand dort die Hauptverhandlung in der Sache statt. Trotz der nur beschränkt erhobenen Anschlussberufung, plädierte der Generalstaatsanwalt auf Verurteilung wegen vollendetem, statt versuchtem Landfriedensbruch. Diesem Antrag folgte die 1. Strafkammer des Obergerichts letztlich auch. Der Beschuldigte wurde wegen vollendetem Landfriedensbruch zu einer bedingten Geldstrafe und einer Verbindungsbusse verurteilt. Ob hier eine Verletzung des Grundsatzes reformatio in peius vorliegt, wird zu klären sein.
Das Urteil muss als politisches Urteil betrachtet werden. Die Staatsanwaltschaft kündigte in lokalen Medien an, auf dieser Grundlage nun 130 weitere Strafbefehle auszustellen. Auch sieht die Polizei das massive Polizeiaufgebot als gerechtfertigt und verhältnismässig. Der Landfriedensbruch an und für sich stellt aber einen äusserst unklar formulierten und damit äusserst problematischen Tatbestand dar. In den Worten des Verteidigers: «Landfriedensbruch [...] ist ein Gummiparagraph, eine Art juristische Handorgel, die man ganz eng zusammenpressen und ganz weit ausdehnen kann, wie man gerade will». Das Obergericht wertete die Teilnehmenden von Beginn weg als Zusammenrottung. Nach erfolgter Einkesselung soll es zum Wurf einer Fackel in Richtung der Polizeikette gekommen sein. Als objektive Tatbestandsvoraussetzung müssen die mit vereinten Kräften begangenen Gewalttaten nicht vom Vorsatz erfüllt sein. Grundsätzlich ist es fraglich, ob nach erfolgter Einkesselung – die Frage, ob das Element der Gewalttätigkeiten vorliegend überhaupt erfüllt ist oder nicht, aussen vor gelassen – der Tatbestand des Landfriedensbruch noch zu erfüllt werden kann. Wer eingekesselt ist, hat keine Möglichkeit mehr, sich zu entfernen. Dieses Urteil reiht sich in die stetig grosszügigere Auslegung des Tatbestandes und die stetige Herabsetzung der Schwelle zu dessen Erfüllung ein. Der Tatbestandes bedarf dringend einer schärferen Konturierung. Nicht zuletzt deshalb wird gegen das Urteil Beschwerde ans Bundesgericht erhoben.