Demonstrationen ermöglichen statt verbieten
Einzelfallprüfungen sind unverzichtbar
In einigen Schweizer Städten wurden im Oktober im Zusammenhang mit Terrorismus und Krieg im Nahen Osten Bewilligungen für Kundgebungen nicht erteilt, wieder entzogen oder generell verboten. Die Stadt Bern hat bekannt gegeben, dass ab dem 17. November 2023 bis und mit Heiligabend keine Grosskundgebungen und Umzüge in der Innenstadt mehr bewilligt werden. Dieses Vorgehen ist mit der Versammlungsfreiheit unvereinbar.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesgericht betonen regelmässig, dass die Grundrechte freier Kommunikation Grundlage eines jeden demokratischen Staatswesens sind. Dies gilt in friedlichen und, umso mehr, in konfliktreichen Zeiten. Diese alte Erkenntnis scheint bei manchen Schweizer Behörden allerdings in Vergessenheit geraten zu sein. Die Demokratischen Jurist*innen Schweiz haben deshalb, zusammen mit den betroffenen Sektionen (djb, DJS Basel & DJZ) zwei Medienmitteilungen[1] formuliert, deren Inhalte hier erneut Raum bekommen sollen.
Mit einem generellen Verbot und dem Nichterteilen von Bewilligungen wird die Versammlungsfreiheit unverhältnismässig eingeschränkt. Die Partizipation an der politischen Meinungsbildung auf der Strasse ist für die Demokratie unabdingbar. Demonstrationsverbote sind deshalb nur als allerletztes Mittel und unter engen Voraussetzungen zulässig.
Bei jeder einzelnen Demonstration bedarf es einer Abwägung, ob die Voraussetzungen für eine Bewilligung gegeben sind. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie verhältnismässig sind. Verboten werden darf eine Demonstration nur dann, wenn ein konkretes und vorhersehbares Risiko besteht, dass Gewalt ausgeübt oder dazu angestiftet wird. Dieses konkrete Risiko muss von der Versammlung selbst ausgehen oder ihr zugerechnet werden können. Wichtig: Eine Versammlung gilt nicht allein deshalb als unfriedlich, wenn sie gewalttätige Gegendemonstrationen auslöst. Ursprüngliche friedliche Versammlungen, in deren Verlauf es zu Auseinandersetzungen mit oder unter einzelnen Teilnehmer*innen kommt, bleiben ebenfalls grundrechtsgeschützt. Unfriedlich ist eine Versammlung dann, wenn sie von Anfang an eine gewalttätige Zielsetzung hat. Gewisse Versammlungen sind von vorherein auf Provokation und damit auf Störung des Alltags angelegt. Sie werden dadurch indes nicht ohne Weiteres zu unfriedlichen Versammlungen.
Finden Demonstrationen ohne Bewilligung statt, muss erneut und bezogen auf den konkreten Einzelfall abgewogen werden, wie die Grundrechte der Teilnehmer*innen, Passant*innen und öffentliche Interessen am besten geschützt werden können. Eine Auflösung der Demonstration kommt nur als allerletztes Mittel in Betracht.
Ausgehend von Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit und gestützt auf die konstante Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verurteilen die Demokratischen Jurist*innen Schweiz die Demonstrationsverbote in den Städten Zürich, Bern und Basel. Insbesondere darf nicht angehen, dass ausnahmslos alle grösseren Kundgebungen in der Berner Innenstadt während über einem Monat verboten werden. Eine Demokratie muss es ermöglichen, dass man sich zusammenfinden und ein gemeinsames Anliegen auf die Strasse tragen und damit den Raum zu einem politischen machen kann; und die Rechtsstaatlichkeit verlangt für jeden Einzelfall die Abwägung betroffener Interessen.
Lea Schlunegger (Vorstand DJS)
[1] https://djs-jds.ch/de/djs/aktuell/medienmitteilungen ; https://www.djs-jds.ch/de/be-2/aktuell-be/2041-demonstrationen-muessen-auch-waehrend-kritischen-situationen-moeglich-bleiben