Es braucht eine rasche Überprüfung von Polizeieinsätzen gegen Kundgebungen
Polizeiaktionen gegen Kundgebungen führen immer wieder zu grösseren Diskussionen und haben lange juristische Nachspiele. Die Frage der Rechtmässigkeit solcher Massnahmen wird oft erst Jahre später entschieden. Zwei Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs zeigen dies exemplarisch auf.
Die Klärung der Rechtmässigkeit der Polizeieinsätze kann Auswirkungen auf die zukünftige Wahrnehmung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit haben (Stichwort «chilling effect»). Doch die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden behandeln die Verfahren nicht mit der notwendigen zeitlichen Dringlichkeit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte neulich die Schweiz und Frankreich in separaten Verfahren und beurteilte Polizeieinsätze an Demonstrationen als unrechtmässig. Die Urteile ergingen allerdings erst 12,5 bzw. 13,5 Jahre nach der jeweiligen Kundgebung.[1] Allfällige Strafverfahren hingegen werden schnell vorangetrieben, obwohl die verwaltungsrechtliche Beurteilung, ob es sich um einen rechtmässigen Polizeieinsatz gehandelt hat, einen Einfluss auf die Erfüllung der Straftatbestände haben kann. Für die Betroffenen ist dies eine sehr unbefriedigende Situation.
Anhand eines Falles aus dem Kanton Basel-Stadt im Jahr 2023 lassen sich die bestehenden Schwierigkeiten der Überprüfbarkeit von Polizeieinsätzen gegen Kundgebungen nochmals aufzeigen: Am 1. Mai 2023 trennte die Polizei den vordersten Teil der bewilligten Kundgebung ab und kesselte diesen ein. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden keine Sachbeschädigungen begangen oder Gewalt angewendet. Der Polizeikessel dauerte mehr als sieben Stunden und es wurden Zwangsmittel wie Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt. Auch ein Teil der Demonstrationsbeobachter*innen der DJS Basel befand sich mehrere Stunden im Polizeikessel und dokumentierte die Situation. Die im Mai 2023 beantragten anfechtbaren Verfügungen von Personen aus dem Polizeikessel sind bis heute noch nicht ausgestellt worden. Einige Personen, die den Tag in Polizeigewahrsam verbringen mussten, ohne je an der Demonstration gewesen zu sein, haben ebenfalls bereits im Mai 2023 die direkte richterliche Überprüfung der Freiheitsentzüge verlangt. In den Fällen sind nun Beschwerden am Bundesgericht hängig , da die kantonalen Gerichte auf die Haftprüfungsgesuche nicht eintraten.
Es zeigt sich: Ohne zeitliche Begrenzung für den Erlass von Feststellungsverfügungen zu den Polizeieinsätzen oder der Möglichkeit, einen Freiheitsentzug direkt von einem Gericht überprüfen zu lassen, liegt es in der Hand der Polizei, wann man die Überprüfung der Rechtmässigkeit der Einsätze mittels Anfechtung der Feststellungsverfügung einleiten kann. Eine rasche Überprüfung wird so verunmöglicht, was sich negativ auf die Wahrnehmung der Grundrechte im Zusammenhang mit Kundgebungen auswirken kann.
Constanze Seelmann
Vorstandsmitglied DJS Sektion Basel
[1] EGMR-Urteil 77686/16, 76791/16 vom 19.12.2023, Arnold und Marthaler c. Schweiz betreffend eine 1.-Mai-Kundgebung in Zürich aus dem Jahr 2011; EGMR-Urteil 1162/22 vom 8.2.2024, Auray und andere c. Frankreich betreffend eine Kundgebung in Lyon aus dem Jahr 2010.