EU-Asylreform: Weitere Externalisierung von Grenzen
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) gibt EU-weite Mindeststandards für die Behandlung von asylsuchenden Menschen und die Bearbeitung der Asylanträge vor. Die Europäische Kommission hat im Jahr 2020 einen umfassenden gemeinsamen europäischen Rahmen für «Migrations- und Asylmanagement» vorgeschlagen. Gemäss dem Europäischem Rat soll die Reform diverse Verbesserungen bringen: Das System soll dem Migrationsdruck besser standhalten können und effizienter werden, Sogfaktoren und Sekundärmigration sollen unterbunden, Missbrauch bekämpft sowie Datenerhebung verbessert werden.[1] Was auf den ersten Blick als sinnvoll scheint, entpuppt sich bereits weder als fair noch als solidarisch, sondern als weitgehender Abbau des Flüchtlingsschutzes.[2]
Die Revision richtet einen besonderen Fokus auf neu eingerichtete Verfahren an den EU-Aussengrenzen. Betroffen hiervon sind Personen aus Ländern mit weniger als 20% positiv beschiedenen Asylanträgen im unionsweiten Jahresdurchschnitt, Schutzsuchende die eine «Gefahr für nationale Sicherheit» darstellen, die über ihre Identität getäuscht oder Informationen zurückgehalten haben sowie solche, die aus einem «sicherem Herkunftsstaat» oder «sicherem Drittstaat» kommen – wobei dieser Begriff in der neuen Regelung enorm ausgedehnt wird.
Nach einem ersten «Screening» und der Einteilung in das geeignete der Verfahren (Rückführung, Grenzverfahren oder reguläres Verfahren), wird im Grenzverfahren die Zulässigkeit eines Asylgesuchs oder eine beschleunigte Prüfung der Asylgründe bereits an der Aussengrenze vorgenommen. Dabei werden neu noch mehr personenbezogene Daten, etwa Gesichtsbilder, erfasst – möglich durch die beschlossene EURODAC-Reform.[3]
Die neue Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (VAMM) soll die Dublin-III-Verordnung ersetzen. Die Schweiz, die bereits jetzt Dublin-Rückführungen rigide anwendet, hätte weitere Möglichkeiten Schutzsuchende an die EU-Aussengrenzen zurückzuschicken.[4]
Am 8. Juni 2023 einigten sich die EU-Innenminister*innen auf die Reform bezüglich der Verfahren an den Aussengrenzen und die VAMM. Die gesamte EU-Asylreform geht damit nun auf eine gefährliche Zielgerade zu. Zwar müssen die Mitgliedstaaten nun noch mit dem Europäischen Parlament verhandeln, doch ob die Reform noch gestoppt wird, ist fraglich.[5]
Inwieweit die Schweiz in die Revision eingebunden werden soll, ist noch nicht klar. Die erwähnten Grenzverfahren sowie auch der Solidaritätsmechanismus seien keine Weiterentwicklung von Schengen/Dublin, schreibt das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage der NZZ und müsste von der Schweiz nicht übernommen werden. Die VAMM als Ersetzung des derzeitigen Dublin-Systems müsste grundsätzlich übernommen werden.[6] Die entsprechenden Gesetzesänderungen würden dem Referendum unterliegen.
Lara Hoeft (Geschäftsführerin Pikett Asyl) und Lea Schlunegger (Vorstand DJS)
[1] www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-migration-policy/eu-asylum-reform/, abgerufen am 01.09.2023
[2] vgl. www.proasyl.de/news/ausverkauf-der-menschenrechte-deutschland-stimmt-fuer-aushebelung-des-fluechtlingsschutzes/, abgerufen am 01.09.2023
[3] vgl. Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der
Richtlinie 2013/32/EU, vom 8. Juni 2023, data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10444-2023-INIT/de/pdf, abgerufen am 01.09.2023
[4] vgl. anstelle vieler: www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2016/schweiz-zeigt-bei-dublin-rueckfuehrungen-grosse-haerte, abgerufen am 01.09.2023
[5] www.proasyl.de/news/ausverkauf-der-menschenrechte-deutschland-stimmt-fuer-aushebelung-des-fluechtlingsschutzes/, abgerufen am 01.09.2023
[6] vgl. Daniel Gerny, 09.06.2023, Die Schweiz wird von der Reform des EU-Asyl- und Migrationssystems profitieren, NZZ.