Gewalt im Amt – polizeiliche Handlungen im öffentlichen Diskurs
Derzeit häufen sich (vermehrt negative) Berichte über Polizeieinsätze bei grösseren Veranstaltungen. Zu denken ist beispielsweise an die Auseinandersetzungen nach einem Eishockeyspiel in Biel Ende Februar 2023, an die 1. Mai-Demonstrationen in Basel oder Zürich oder die Ereignisse nach einem Fussballspiel in Luzern im Mai 2023. Auffallend ist, dass die Polizei dem Anschein nach jeweils früh und intensiv Zwangsmittel (bspw. Gummigeschosse bzw. Gummischrot) eingesetzt hat und es dadurch zu einzelnen (gravierenden) Verletzungen kam.[1] Dieser Missstand führte dazu, dass die polizeiliche Arbeit, aber auch generell die Polizei erneut und vermehrt Teil einer öffentlichen Debatte ist. Fraglich ist aber, ob neben dieser Debatte nun auch (rechtliche) Konsequenzen folgen, ob also beispielsweise Untersuchungen eingeleitet, Strafverfahren eröffnet, Anzeigen erstattet oder Staatshaftungsverfahren aufgenommen werden. Gerade mit Blick auf die Vergangenheit ist ebenfalls offen, ob es zu allfälligen Verurteilungen der verantwortlichen Polizist*innen kommt. Diesen und weiteren Fragen ist Laila Abdul-Rahman zusammen mit anderen Forscher*innen im Zusammenhang mit «Gewalt im Amt» in Deutschland in einer fünfjährigen Studie nachgegangen.[2] Unter anderem kamen sie zum Schluss, dass das Anzeigeverhalten insbesondere im Hinblick auf die Körperverletzung im Amt (§ 340 D-StGB) sehr zurückhaltend ist und dass bereits der Versuch einer Anzeigeerstattung teilweise erschwert zu sein scheint.[3] Der Grossteil der (selten) eingeleiteten Strafverfahren wird im Verlauf der Zeit eingestellt, und die wenigen Verfahren, die in einer Anklage münden, führen sehr selten zu einer Verurteilung. Der Gründe dafür fanden die beteiligten Forschenden zum einen in der Nicht-Identifizierbarkeit der tatverdächtigen Beamt*innen[4] (was jeweils eine Einstellung zur Folge hatte), zum anderen in der speziellen Beweislage, welche mehrheitlich aus Zeug*innen bestand. Deswegen lag häufig eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor, in welcher dann die polizeilichen Zeug*innen oftmals als professioneller und glaubhafter eingestuft wurden.[5] Weiter waren diese polizeilichen Zeug*innen oftmals in einem Verfahren involviert, das gegen eine*n Kolleg*in eröffnet wurde, sodass eine neutrale Aussage naturgemäss erschwert wurde, da berufsbedingt eine gewisse Nähe zur beschuldigten Person bestand. Weiter wurde festgestellt, dass polizeiinterne Ermittlungen gegen Polizist*innen aufgrund von Solidarisierungseffekten für die Polizei als Organisation herausfordernd sein können und dass interne Ermittler*innen teilweise innerhalb der Organisation abgewertet werden.[6] Gemäss der Studie scheint zudem ein unbefangener Blick während der internen Ermittlung praktisch unmöglich, insbesondere aufgrund der berufskulturellen und -biographischen Nähe.
Aus unserer Sicht wären auch hierzulande solche Forschungsbestrebungen und -ergebnisse zu übermässiger Gewaltanwendung durch Polizist*innen sowie die dazugehörige strafrechtliche Aufarbeitung mit Blick auf die jeweilige Institution dringend nötig. Eine solide Datenlage würde Reformbestrebungen, beispielsweise die Schaffung einer unabhängigen Meldestelle für Polizeigewalt, massgeblich erleichtern.
Tim Willmann (djb), Selma Kuratle (Geschäftsleiterin djb)
[1] Am 24. Februar 2023 in Biel und am 1. Mai 2023 in Zürich wurde jeweils eine Person durch Gummischrot schwer am Auge verletzt (vgl. dazu die Medienmitteilungen der Kantonspolizei Bern sowie der Stadtpolizei Zürich); am 20. Mai 2023 wurden gemäss des St. Galler Fandachverbands «DV1879» fünf Personen durch Gummischrot im Auge getroffen und mussten hospitalisiert werden.
[2] Abdul-Rahman Laila, Grau Hannah Espin, Klaus Luise, Singelnstein Tobias: Gewalt im Amt: Übermässige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2023.
[3] Abdul-Rahman et al., S. 309 ff.
[4] Abdul-Rahman et al., S. 348.
[5] Abdul-Rahman et al., S. 339 ff., 350.
[6] Abdul-Rahman et al., S. 319 f.