Bern, 23. September 2016

Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) kritisieren – wie viele andere Fachleute – die Praxis der Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden sowie der Gerichte im Bereich der Untersuchungshaft scharf.
Auch im Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) aus dem Jahr 2015 und der ausführlichen Studie von Jörg Künzli/Nula Frei/Maria Schultheiss vom Oktober 2015 (Menschenrechtliche Standards der Haftbedingungen in der Untersuchungshaft und ihre Umsetzung in der Schweiz in: Jusletter 5. Oktober 2015) wird sehr vieles am Status quo der Untersuchungshaft moniert. Die Fachgruppe Reform im Strafwesen in Kooperation mit der ZHAW Departement Soziale Arbeit und dem Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich sowie der Paulus Akademie führten am 8./9. September 2016 zudem eine Tagung zum Thema «Rechtswidrige Zustände? Untersuchungshaft in der Kritik» durch, wo die derzeitige Praxis ebenfalls sehr kritisch beurteilt worden ist.

 Für Personen in Untersuchungshaft gilt ein strengeres Regime als für verurteilte Straftäter_innen: in manchen Kantonen dürfen die Betroffenen ihre kleine Zelle während 23 Stunden pro Tag nicht verlassen, Besuche von Angehörigen und Bekannten sind – wenn überhaupt – zeitlich sehr beschränkt erlaubt, auch Telefonkontakte sind häufig nicht erlaubt. In manchen Kantonen dürfen die Inhaftierten nicht einmal mit ihren Anwältinnen und Anwälten telefonieren. Selbst Besuche von ihren Kindern sind häufig verboten oder finden – wie beispielsweise im Kanton Zürich – hinter Trennscheiben statt. Dies führt zu massiven psychischen Belastungen der betroffenen Personen und verletzt in vielen Fällen das Verhältnismässigkeitsprinzip in eklatanter Weise.

Hinzu kommt, dass Untersuchungshaft durch die Gerichte mancher Kantone extensiv angeordnet wird: den Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Anordnung von Untersuchungshaft wird in der Regel stattgegeben, selbst wenn eine mildere Ersatzmassnahme wie beispielsweise ein Kontaktverbot ohne weiteres ausreichen würde, um dasselbe Ziel zu erreichen. Verschärft wird die Situation durch die teils in jeder Vollzugsanstalt unterschiedlichen und teils sehr belastenden Haftbedingungen oder Kontaktregelungen.

Diese Umstände sind um so stossender, weil Untersuchungshäftlinge nicht rechtskräftig verurteilt sind und somit als unschuldig zu gelten haben. Faktisch führt die Anordnung der Untersuchungshaft letztlich zu einer Strafe ohne Schuldspruch.
Darüber hinaus kann Untersuchungshaft nachgewiesenermassen eine präjudizierende Wirkung auf das Sachurteil haben. Es droht in solchen Fällen viel häufiger eine Verurteilung, als wenn sich der oder die Beschuldigte während der Strafuntersuchung auf freiem Fuss befindet.

Die DJS fordern deshalb unter anderem, dass im Rahmen der Anordnung von Untersuchungshaft dem Verhältnismässigkeitsprinzip Nachachtung verschafft wird, dies würde insbesondere bedingen, dass die Haft nur in denjenigen Fällen angeordnet wird, in welchen sie zwingend notwendig ist und dass die Dauer der Haft zeitlich beschränkt wird. Für die Inhaftierten zentral ist auch, dass die Haftbedingungen den jeweiligen Haftgründen und dem Einzelfall angepasst werden. Die Ausgestaltung der Haft, insbesondere Besuchserlaubnisse, Telefonkontakte, individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten sind auf den Einzelfall auszurichten und so wenig wie möglich die Persönlichkeit einschränkend auszugestalten.

Die DJS stellen zu diesem Zweck ab sofort einen Musterantrag für Verteidiger_innen und Betroffene zur Verfügung. Diese soll es ermöglichen, bei der zuständigen Behörde zu beantragen, die Haftbedingungen individuell anzupassen.

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Für weitere Auskünfte:

Tanja Soland, Advokatin Basel-Stadt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 079/254 64 42
Thomas Heeb, Rechtsanwalt Zürich: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 044/241 24 24