Medienmitteilung der DJS zur Vorlage des Bundesrats betr. Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) und des Jugendstrafgesetzes (JStG) vom 6. März 2020 (Massnahmenpaket Sanktionenrecht)

Bern, 6. Oktober 2020

Um den Vollzug von Strafen und Massnahmen (therapeutische Behandlungen bzw. Verwahrungen nach Art. 59 und 64 StGB) ist es schlecht bestellt. Die effektive Dauer der Massnahmen übersteigt die Dauer der Freiheitsstrafe heute oft um das Mehrfache. Noch nie in der Schweizer Rechtsgeschichte waren so viele Straftäterinnen und -täter weggesperrt, die Schuld und Strafe längst verbüsst haben. In Fachkreisen wird geschätzt, dass über 80% dieser präventiv weggesperrten Gefangenen im Falle einer Freilassung nichtrückfällig würden. Die Population in Massnahmenanstalten wird wegen der restriktiven Entlassungspraxis immer älter; es müssen rollstuhlgängige Geriatrieabteilungen geschaffen werden. Die Kosten der vielfach ungerechtfertigten Freiheitsentziehungen gehen in die Milliarden. Und dies alles trotz tendenziell abnehmender Gewalt- und Sexualkriminalität.

Die von Verwaltungsbehörden gefällten Entscheide über Vollzugslockerungen und Entlassungen sind von Angst geprägt, Angst vor politischen und medialen Konsequenzen für die Entscheidungsträger (letztlich die jeweiligen Justizdirektoren). Diese Angst begünstigt eine verfassungsrechtlich inakzeptable Null-Risiko-Mentalität und führt zur beschriebenen Malaise im Vollzug.

Schon wiederholt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz wegen ihrer EMRK-widrigen Praxis bei Entlassungsgesuchen aus dem Massnahmenvollzug gerügt.

 

Vorlage des Bundesrates 

Mit der Vorlage soll das Straf- und Massnahmenvollzugsrecht revidiert werden. Angesichts des Handlungsbedarfs ist eine solche Revision nicht nur zu begrüssen, sondern überfällig.

Nur: Die Vorlage ignoriert den Handlungsbedarf. Keine einzige neue Bestimmung trägt dem beschriebenen Missstand Rechnung, geschweige denn den Rügen aus Strassburg. 

Im Gegenteil: Ein weiteres Mal stehen Revisionsvorlagen im Strafrecht einseitig im Dienst der Forderung nach mehr Kontrolle und Überwachung. Damit wird der beschriebene Missstand sogar noch begünstigt.

Standpunkt der DJS

In ihrer Vernehmlassung beantragen die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz die Rückweisung der Vorlage und schlagen folgende Massnahmen gegen die Missstände vor. 

  • Eine präzisere Legiferierung der «kleinen Verwahrung» nach Art. 59 StGB. Das Gesetz soll der ausufernden Anordnung und Verlängerungen Grenzen setzen. Dies insbesondere dann, wenn die Dauer des Massnahmenvollzugs die Dauer der schuldangemessenen Strafe übersteigt.
  • Neben der routinemässigen Überprüfung der eigenen Entscheide durch die Verwaltungsbehörde selbst, drängen sich periodische, unabhängige und gründliche Fallüber-prüfungen auf.
  • Über Gesuche um Entlassungen sollen nicht die Verwaltungsbehörden, sondern das Gericht befinden. Das entspricht dem etablierten habeas corpus-Grundsatz, den alle Menschenrechts-Satzungen von den Mitgliedstaaten einfordern.

Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit.

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Für Rückfragen und weitere Auskünfte: 

Stephan Bernard, Rechtsanwalt, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 044 295 90 80

Matthias Brunner, Rechtsanwalt, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 044 241 48 78

Vernehmlassungsantwort der DJS: Massnahmenpaket.pdf