Im März 2019 hat die Rechtskommission des Nationalrats die Vorlage “Ehe für alle” in die Vernehmlassung geschickt. Die Ehe soll für alle Paare geöffnet werden, ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung. Zudem wurde der Zugang zur Samenspende für gleichgeschlechtliche, weibliche Ehepaare vorgeschlagen. Am 30. August 2019 hat sich die Kommission mit grosser Mehrheit für die Ehe für alle ausgesprochen, aber mit 13 zu 12 Stimmen gegen den Zugang zur Samenspende für Frauenpaare und zur gemeinsamen Elternschaft ab Geburt.

Die Differenzen zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft, zum Beispiel beim Erwerb des Bürgerrechts, im Sozialversicherungsrecht oder beim Zugang zu den in der Schweiz zugelassenen fortpflanzungsmedizinischen Verfahren basieren nicht auf sachlichen Gründen. Auch der Zugang zur Samenspende und der gemeinsamen Elternschaft ab Geburt ist ein erster Schritt zur Beseitigung der Diskriminierung nicht-heteronormativer Lebensformen.
Momentan besteht für nicht-heterosexuelle Paare keine Möglichkeit, ab Geburt gemeinsam ein Kindesverhältnis zu begründen. Die Kinder haben bei der Geburt nur einen Elternteil und sind deshalb ungenügend abgesichert. Der Zugang zur Samenspende muss unserer Ansicht nach für Frauenpaare ermöglicht werden, so wie er jetzt für verheiratete verschiedengeschlechtliche Paare seit vielen Jahren gewährleistet ist. Es ist ausserdem darauf hinzuweisen, dass eine grundsätzliche Überprüfung der Verknüpfung von Ehe und Zugang zur Fortpflanzungsmedizin angezeigt ist. Angesichts der diversen Lebens- und Familienformen, die tatsächlich existieren, ist eine Bevorzugung von Verheirateten hier nicht mehr zeitgemäss.

Anders als im Gesetzesentwurf vorgesehen teilen wir die Auffassung, die eingetragene Partnerschaft als Konsequenz der «Ehe für alle» nicht mehr begründen zu können, nicht unbedingt. Wir würden es stattdessen begrüssen, dass eingetragene Partnerschaften weiterhin möglich sind, mit einer Öffnung für heterosexuelle Paare, ähnlich wie der «Pacte civil de solidarité» (PACS) in Frankreich.
Ein «Ziviler Solidaritätspakt» würde es ermöglichen, Personen, welche die Ehe nicht eingehen wollen, trotzdem eine gewisse Absicherung zu geben. Zudem wäre die Möglichkeit eines solchen Vertrages ein erster Schritt, auch weitere Lebens- und Familienformen abzusichern und bald einmal als Alternative für die Ehe zu gelten, wie es auch im Bericht des Bundesrates zur Modernisierung des Familienrechts im März 2015 vorgeschlagen worden war. Solange im Schweizerischen Recht aber am Institut «Ehe» festgehalten wird, muss dieses für alle zugänglich sein.

Eine umfassende Anpassung des Ehe- und Zivilrechts im Hinblick auf geschlechtergerechte Formulierungen erachten wir als notwendig, um den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht werden zu können. Wir begrüssen die vorgeschlagenen Änderungen und das Vorhaben einer zukünftigen Gesamtanpassung. Insbesondere möchten wir anregen, die Begriffe von Mutter- und Vaterschaft zu überdenken, da auch als männlich eingetragene Personen schwanger werden und als weiblich eingetragene Personen Kinder zeugen können und sie deshalb entsprechend erfasst werden sollten.

Melanie Aebli, Geschäftsleiterin DJS

erschienen im plädoyer 5/2019