Die Forderung, im Strafrecht den Grundsatz zu verankern, dass sexuelle Handlungen ohne Zustimmung zu bestrafen sind, wird kontrovers diskutiert, gerade unter Juristinnen und Juristen. Auch der DJS stehen noch Diskussionen bevor.

Im Frühling 2019 veröffentlichte Amnesty International Zahlen, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Schweiz öfters vorkomme, als in der Kriminalstatistik ausgewiesen. Daraufhin lancierte die Menschenrechtsorganisation eine Petition mit der Forderung, dass das Prinzip des Einverständnisses im Strafgesetzbuch verankert werden soll, so wie es das von der Schweiz im Dezember 2017 ratifizierte Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Artikel 36 verlange.
Am 3. Juni 2019 veröffentlichten 22 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren einen Appell, in dem sie sich der Petition anschliessen und eine Revision des Strafgesetzbuches dahingehend unterstützen, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung zu bestrafen sei und der Tatbestand der Vergewaltigung auch ohne das Vorliegen von Nötigungsmitteln erfüllt sein soll.
Gemäss Art. 190 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht.
Gemäss dem Appell soll im Gesetz zum Ausdruck kommen, dass das grundlegende Unrecht eines Übergriffs gegen die sexuelle Integrität nicht Zwang oder Gewalt ist, sondern die Missachtung der Selbstbestimmung in einem sehr intimen Lebensbereich.
Am 22. Juni 2019 antworteten 32 im Strafrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte, dass die Forderung nach einer Revision des Sexualstrafrechts unbegründet sei und entgegen den Ausführungen der ProfessorInnen zu einer Umkehr der Beweislast führen und die Unschuldsvermutung aushebeln würde. Nicht-einvernehmlicher Geschlechtsverkehr werde schon heute bestraft. Dass ein «Nein» genügen muss, entspreche auch der Überzeugung der AnwältInnen. Sie betonen – was auch der Auffassung des Bundesrates entspricht – , dass der heute geltende Vergewaltigungstatbestand die Vorgaben der Istanbul-Konvention erfülle.

Seit Jahrzehnten wird innerhalb der DJS über sexualisierte Gewalt und ihre strafrechtliche Verfolgung diskutiert. Viele DJS-StrafverteidigerInnen teilen eine fundierte Strafrechtskritik, die die Funktionsweise der strafenden Staatsgewalt in Frage stellt. Entsprechend ist diese Kritik seit jeher eines der wichtigsten Anliegen der DJS: Strafrecht ist nicht neutral, sondern widerspiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse. Genau dies manifestiert sich auch in derjenigen Strafrechtskritik, die die DJS einst beschliessen liess, dass ihre Mitglieder niemanden verteidigen, der/die wegen einem Sexualdelikt beschuldigt wird. In den letzten Jahren wurde vermehrt auch über Machtverhältnisse in anderen Konstellationen diskutiert.

Die Association des Juristes Progressistes (AJP), die Genfer Sektion der DJS, hat sich als Organisation für ein im Sexualstrafrecht manifestiertes Konsensprinzip ausgesprochen.
Die DJS werden die Forderungen am 7. März 2019 in Basel diskutieren und dies auch zum Anlass nehmen, eine zukünftige Strafrechtskritik zu diskutieren.

Melanie Aebli, Geschäftsführerin DJS

erschienen im plädoyer 1/2020

*siehe zum Thema das Streitgespräch in der deutschen Ausgabe des plädoyer 6/19 und den Artikel von Clara Schneuwly in der französischen Ausgabe des plaidoyer 2/18