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31. Oktober 2024

Unerlaubtes Betteln - Änderung des Übertretungsstrafgesetzes

Frage 1: Sind Sie mit dem Gesetzesentwurf grundsätzlich einverstanden und halten Sie die vorgeschlagene Regelung für praktikabel?

Ja. Wir begrüssen die Bestrebungen des Regierungsrats, bestimmte Formen von Betteln zu legalisieren und damit der neueren Rechtsprechung des EGMR gerecht zu werden. Dennoch haben wir zum Gesetzesentwurf bzw. den einzelnen Bestimmungen einige Vorbehalte bzw. Änderungsvorschläge (siehe Antworten zu den Fragen 3-5).

Frage 2: Sind die Erläuterungen zur Gesetzesänderung verständlich und richtig?

Ja.

Frage 3: Sind Sie damit einverstanden, dass das Sammeln von Gaben und der Verkauf von Abzeichen nach wie vor einer Bewilligung bedarf (vgl. Sammelverordnung, SRL Nr. 958a) und das Sammeln ohne Bewilligung strafbar bleibt (vgl. § 26 UeStG)

Nein.

Aufgrund der Gesetzesentwurfs ist davon auszugehen, dass § 26 UeStG und die Sammelverordnung nicht geändert werden. § 26 Abs. 1 UeStG stellt unter anderem das öffentliche Sammeln von Gaben ohne Bewilligung unter Strafe. Gemäss § 1 Abs. 1 der Sammelverordnung ist das Sammeln von Gaben wie Geld, Naturalien, Gutscheinen bewilligungspflichtig, sofern es öffentlich oder von Haus zu Haus durchgeführt wird. Die Sammelbewilligung ist zu verweigern, wenn eine natürliche Person für ihren Lebensunterhalt sammeln will, ohne eine Gegenleistung zu erbringen (Bettel; § 6 Abs. 1 Bst. a Sammelverordnung). Dementsprechend ist das Betteln im Kanton Luzern (faktisch) verboten und nach § 26 UeStG strafbar. Dies widerspricht der Rechtsprechung des EGMR, was auch in den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf festgestellt wird (S. 2, 5, 6 und 8). Wenn § 26 UeStG und § 6 Abs. 1 Bst. a Sammelverordnung nicht geändert werden, bleibt das Bettelverbot bestehen, was der eigentlichen Absicht des Regierungsrats zuwiderläuft. Daran ändert auch die vorgesehene Einführung von § 26a UeStG nichts bzw. es entstehen sogar Ungereimtheiten hinsichtlich der Zulässigkeit von Betteln. Sämtliches Betteln, das nicht unter § 26a E-UestG fällt, wäre weiterhin nach § 26 UeStG strafbar. Deshalb ist § 26 UeStG insofern zu ändern, als dass Betteln ausdrücklich von dieser Bestimmung ausgenommen ist. Dafür könnte ein zusätzlicher Absatz eingeführt werden. Des Weiteren ist § 6 Abs. 1 Bst. a Sammelverordnung ersatzlos zu streichen oder insofern anzupassen, als dass Betteln, insbesondere passive Formen davon, unter bestimmten Voraussetzungen ohne Bewilligung gestattet ist.

Frage 4: Sind Sie mit der vorgeschlagenen Strafnorm betreffend das unerlaubte Betteln in § 26a Absätze 1 bis 3 UeStG einverstanden?

Nein.

Zu Art. 26a Abs. 1 Bst. b E-UeStG (Organisiertes Betteln):

In seinem Urteil betreffend das Übertretungsstrafgesetz des Kantons Basel-Stadt hielt das Bundesgericht fest, dass die gleichlautende Bestimmung im Übertretungsstrafgesetz des Kantons Basel-Stadt weit formuliert sei. Insbesondere der Begriff "in organisierter Art und Weise" sei nicht ohne Weiteres eingrenzbar. Nach dem Wortlaut würde bereits eine einzelne Absprache oder die Verteilung mehrerer volljähriger Mitglieder einer Kern- oder Grossfamilie auf verschiedene Bettelplätze für sich allein ohne ausbeuterisches oder sonst wie erschwerendes Element vom Straftatbestand erfasst. Eine solch extensive Auslegung sei indes gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie angesichts der einschlägigen Strafdrohung unzulässig. § 9 Abs. 1 Bst. a BS-ÜStG sei so auszulegen, dass davon einzig Organisationsformen erfasst würden, die nicht bloss das Betteln koordinieren, sondern bei denen ein zusätzlicher Unrechtsgehalt hinzukomme. Dabei sei etwa an Verhaltensweisen territorialer Dominanz zu denken, wie beispielsweise bei Gruppen, die sich die vorhandenen oder allenfalls erfolgversprechendsten Bettelplätze aufteilen und dabei andere bettelnde Personen, Familien oder Gruppen verdrängen. Das Bundesgericht schlug der Regierung von Basel-Stadt vor, die fragliche Bestimmung zwecks besserer Vorhersehbarkeit zu konkretisieren (siehe BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2021 E. 5.2.3-5.2.5).

Vor diesem Hintergrund regen wir an, § 26a Abs. 1 Bst. b E-UeStG präziser zu fassen. Dies vorzugsweise direkt im UeStG selbst. Es würde die Legitimität der Bestimmung schmälern und den demokratischen Diskurs hindern, wenn die Konkretisierung nicht direkt vom Kantonsrat, sondern erst vom Regierungsrat auf Verordnungsstufe vorgenommen würde.

Zum Einleitungssatz von § 26a Abs. 2 E-UeStG (nicht abschliessende Aufzählung):

Die Aufzählung des nach § 26a Abs. 2 E-UestG strafbaren Verhaltens wird durch die Wendung "namentlich durch" eingeleitet. Diese Formulierung impliziert, dass die nachfolgende Aufzählung von strafbarem Verhalten nicht abschliessend ist und potentiell weitere strafbare Verhaltensweisen bestehen, die nicht in der Aufzählung enthalten sind. Dies ist aus Sicht des Legalitätsprinzips, dem im Strafrecht besondere Bedeutung zukommt, problematisch. Ein Strafgesetz muss für die Vorhersehbarkeit der betroffenen Bürger:innen so spezifisch und präzise formuliert sein, dass kein Spielraum für unterschiedliche Interpretation verbleibt (sog. nulla poena sine lege certa). Dieser Grundsatz ist mit der gewählten Formulierung nicht gewährleistet und setzt bettelnde Personen der Willkür der rechtsanwenden Behörden aus. Wir schlagen daher vor, das Wort "namentlich" aus dem Einleitungssatz zu streichen und damit das strafbare Verhalten in § 26a Abs. 2 E-UeStG abschliessend zu regeln.

Zu § 26a Abs. 2 Bst. b und c E-UeStG (Keine Angabe von Distanz):

Im Übertretungsstrafgesetz des Kantons Basel-Stadt wird beim Verbot des passiven Bettelns an ausgewählten, als kritisch erachteten, Orten eine konkrete Distanz angegeben, innerhalb welcher das Betteln strafbar ist. In § 26 Abs. 2 Bst. b und c E-UeStG fehlen solche Angaben. Es bleibt in den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf unklar, weshalb. Sofern dies vor dem Hintergrund erfolgt, dass der Radius von fünf Metern, der in Basel-Stadt gilt, als zu weit erscheint und man in Luzern mit mehr Augenmass operieren will, ist das grundsätzlich zu begrüssen. Gleichwohl muss für bettelnde Personen aber auch für die Polizeibehörden klar sein, an welchen Orten betteln erlaubt ist und wo gerade nicht. Ansonsten droht den bettelnden Personen eine zu weite Auslegung durch die Polizeibehörden und die Bestimmung, die zugunsten der bettelnden Personen mehr Augenmass erlauben könnte und sollte, verkehrte sich ins Gegenteil. Daher regen wir an, auf die Angabe von genauen Distanzen entgegen den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf nicht zu verzichten, sondern diese im Vergleich zum Kanton Basel-Stadt auf eine Distanz von zwei Metern zu reduzieren. Ein weitergehender Radius scheint nicht erforderlich und würde insbesondere in der dichten Stadt Luzern kaum mehr Platz für Bettel lassen und damit randständige Personen aus der Stadt verdrängen. Im Entscheid betr. Basel-Stadt hat das Bundesgericht nicht nur klargestellt, dass die Beschränkung der Nutzung des öffentlichen Grundes unter dem Aspekt der persönlichen Freiheit ausreichend zu berücksichtigen ist (BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2023 E. 4.5.3), sondern auch, dass das Ziel, Armut aus der öffentlichen Sichtbarkeit zu verdrängen oder das Anliegen, Passantinnen und Passanten vor unangenehm empfundener Konfrontation mit bedürftigen Menschen zu bewahren keine legitimen öffentlichen Interessen darstellen (BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2023 E. 4.6.2 mit Verw. auf den Fall Lacatus gegen Schweiz).

Zu den Sanktionen:

Der Entwurf sieht für alle Verstösse gegen § 26a E-UeStG generell eine Busse als Strafe vor. Die Bussenhöhe wird im Gesetz nicht begrenzt, womit Bussen bis zu Fr. 10'000.-- möglich wären (§ 1 Abs. 1 UeStG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 StGB). Eine Busse in einer derartigen Höhe ist insbesondere für das verbotene passive Betteln nach § 26a Abs. 2 E-UeStG klar unverhältnismässig. Das Bundesgericht hat im Entscheid betr. Basel-Stadt für aufdringliches, einschüchterndes oder aggressives Betteln eine Busse von Fr. 100.-- noch als verhältnismässig erachtet (BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2023 E. 5.4.5). Wir regen daher an, Verstösse gegen § 26a Abs. 2 Bst. a E-UeStG in die Ordnungsbussenverordnung aufzunehmen und eine Busse von maximal Fr. 100.‑- vorzusehen.

Für die Tatbestandsvarianten des verbotenen passiven Bettelns − in Luzern §26a Abs. 2 Bst. b-d E-UeStG − hat das Bundesgericht im Entscheid betr. Basel-Stadt das direkte Aussprechen einer Busse als unverhältnismässig qualifiziert (BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2023 E. 5.4.3 und 5.4.6 f.). Eine deutliche Mehrheit der bettelnden Personen ist nicht in der Lage, eine Busse zu bezahlen, womit ihnen als Sanktion schlussendlich eine Ersatzfreiheitsstrafe, also Gefängnis, droht. Das ist für passives Betteln unverhältnismässig, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Lacatus gegen Schweiz klarstellte. Das Bundesgericht verlangt daher, dass eine Busse für rein passives Betteln nur als letztes Mittel ausgesprochen wird, wenn andere geeignete Massnahmen versagt haben. In Betracht kommen insbesondere vorgängige verwaltungsrechtliche Massnahmen. Die Kaskade könnte dabei wie folgt aussehen: Wegweisung aus Verbotszone bei erstmaliger Übertretung, administrative Warnung mit Androhung einer Busse bei zweitem Verstoss, geringfügige Busse beim dritten Verstoss. Die Busse sollte (analog Basel-Stadt) Fr. 50.-- nicht übersteigen und ist in die Ordnungsbussenverordnung aufzunehmen. Aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass die Kaskadenordnung direkt im UeStG vom Kantonsrat beschlossen wird. Eine blosse Regelung auf Verordnungsstufe durch die Regierung würde die demokratische Legitimation schmälern.

Schliesslich sieht § 26a Abs. 3 E-UeStG vor, dass die durch Betteln erlangen Vermögenswerte sowohl in den Fällen nach Abs. 1 als auch nach Abs. 2 sichergestellt und eingezogen werden können. Damit geht der Entwurf, ohne dass dies in den Erläuterungen offengelegt würde, über die Regelung von Basel-Stadt hinaus. In Basel-Stadt werden einzig Vermögenswerte sichergestellt und eingezogen, die durch strafbares Betteln nach Absatz 1 erlangt wurden. Dies hat das Bundesgericht als verhältnismässig beurteilt, da bei Absatz 1 eine qualifizierte Gesetzesverletzung vorliege (BGer-Urteil 1C_537/2021 vom 13.3.2023 E. 5.5). Eine solche liegt in den Fällen von Absatz 2, insbesondere beim Verbot des rein passiven Bettelns nach Abs. 2 Bst. b-d nicht vor. In diesen Fällen ist eine Einziehung angesichts der prekären finanziellen Lage, in denen sich die bettelnden Personen befinden, als unverhältnismässiger Eingriff in die Eigentumsgarantie zu qualifizieren. Es gibt keinen Grund, Geld einzuziehen, das einer bettelnden Person freiwillig gespendet wurde, ohne dass diese sich täuschend oder aggressiv verhielt. Wir regen daher an, zumindest in den Fällen von Abs. 2 Bst. b-d auf eine Einziehung zu verzichten. Ohnehin dürfte es beweisrechtlich nicht möglich sein, zu bestimmen, welches Geld, das eine bettelnde Person auf sich trägt, aus Bettel an einem verbotenen Ort stammt. Entsprechend entlastet ein Verzicht auf die Einziehung in solchen Fällen auch Polizei und Justizbehörden. Schliesslich regen wir an, Beträge die wegen verbotenem Betteln nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 Bst. a eingezogen werden analog der Regelung bei unerlaubten Sammlungen nach § 26 Abs. 2 UeStG für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Dies entspricht auch der Absicht der Personen, welche ihr Geld den bettelnden Personen gespendet haben.