Bern, 12. März 2018

Die Demokratischen Jurist_innen Schweiz (DJS) kritisieren den heutigen Entscheid des Nationalrates, die Vorlage zur Schaffung der gesetzlichen Grundlage zur Observation von Versicherten anzunehmen (140 zu 52 Stimmen). Dem Rückweisungsantrag und den Minderheitsanträgen, die die Vorlage ein wenig entschärft hätten, wurde nicht stattgegeben.

Dass Sozialversicherungen ihre Versicherten observieren, ist nichts Neues. Neu ist nur, dass für die bisher illegal durchgeführten Überwachungen eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Mit seinem Urteil vom 18. Oktober 2016 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz dafür gerügt, dass sie Observationen ohne gesetzliche Grundlage zulässt, weil diese Überwachung die Privatsphäre verletzt. Das heute verabschiedete Gesetz erfüllt die grundrechtlichen Anforderungen nicht und widerspricht auch dem Urteil und der daraus folgenden Pflicht, Machtmissbräuche zu verhindern. Es verletzt zudem die Kompetenzordnung und die Unschuldsvermutung. Der nicht ausgewogenen und im Eiltempo behandelten gesetzliche Grundlage fehlt es an Augenmass.

Sozialversicherungsmissbrauch ist eine Straftat, deren Verfolgung den staatlichen Polizeibehörden obliegt. D. h. sie haben die Beschuldigten als Träger des staatlichen Gewaltmonopols zu observieren, unter Einhaltung des in der Strafprozessordnung geregelten und von Gerichten kontrollierten Verfahrens. Die Gesetzesvorlage ermöglicht es nun den - auch privaten - Versicherungen, nach Gutdünken zu überwachen.
Die Vorlage lässt eine Observation zu, die von einem Sachbearbeiter oder einer Sachbearbeiterin der Versicherungsgesellschaft angeordnet wird und räumt einer Sozialversicherung teilweise mehr Rechte ein als der Polizei und dem Nachrichtendienst, welche an gesetzliche Voraussetzungen und an eine richterliche Genehmigung gebunden sind. Beim vorliegenden Gesetz ist eine richterliche Überprüfung ausser beim Einsatz von GPS-Trackern nicht vorgesehen. Mit anderen Worten sind für eine vollständige Überwachung kaum Hürden vorgesehen und es besteht kein institutioneller Schutz vor Willkür und Machtmissbrauch.

Eine Überwachung kann in grober Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes angeordnet werden, da es im Gesetz an den Minimalanforderungen für eine Observation fehlt und eine unabhängige Überprüfung nicht vorgesehen ist. Dies gilt auch für die Überwachungsmassnahmen und die Orte der Überwachung, zumal grundsätzlich jeder Mensch, der sozialversicherungsrechtliche Leistungen bezieht, überwacht werden kann. Neu sollen frei einsehbare Orte wie Balkone, Gärten oder Wohnzimmer von aussen observiert werden können. Eine solche Kompetenz ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre (Art. 13 BV, Art. 8 Abs. 1 EMRK).
Schliesslich sollen die durch die Überwachungen in unkontrollierter Weise erlangten Beweismittel auch in einem Strafverfahren verwendet werden können, was ebenfalls verfassungsmässige Rechte verletzt.

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Für weitere Auskünfte:
Melanie Aebli, Geschäftsleiterin DJS: Cette adresse e-mail est protégée contre les robots spammeurs. Vous devez activer le JavaScript pour la visualiser., 078/617‘87‘17