Vor knapp zwei Jahren scheiterte die Konzernverantwortungsinitiative knapp am Ständemehr, mitunter aufgrund unsachlicher Gegenargumente. Von «weltweit einzigartigen Haftungsbestimmungen» oder «erpresserischen Klagen» war die Rede und Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte auf allen Kanälen vor einem «Schweizerischen Alleingang». Initiant:innen und unabhängige Rechtsexpert:innen wiesen damals darauf hin, dass der Trend in Europa unmissverständlich in Richtung strengere Regeln für Konzerne ginge. Frankreich verfügt schon seit 2017 über das «Loi de Vigilance», in angelsächsischen Ländern müssen sich Konzerne seit Jahren immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht verantworten.

Rasante internationale Entwicklung

Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt: 2021 hat Norwegen den sogenannten Transparency Act[1] verabschiedet, der Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden zu menschenrechtlicher Sorgfaltsprüfung verpflichtet. Deutschland erliess das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz[2], in beiden Ländern wird die Einhaltung durch Behörden mit weitreichenden Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten sicherstellt. Anfang dieses Jahres präsentierte die EU-Kommission dann den Entwurf für die «Corporate Sustainability Due Diligence Directive»[3]. Sie enthält eine breite Sorgfaltsprüfungspflicht für alle Menschenrechte und für internationale Umweltstandards, zivilrechtliche Haftung für Schäden bis in die Lieferkette, sieht Aufsichtsbehörden vor, die umsatzabhängige Bussen verhängen können und verlangt von Konzernen auch die Einhaltung von Klimazielen. Damit geht die Richtlinie punkto Haftung und Aufsicht weiter als die Konzernverantwortungsinitiative.

Mitte September stellte die EU-Kommission darüber hinaus eine geplante Verordnung gegen Zwangsarbeit[4] vor. Diese soll es neu erlauben, Produkte, die unter Zwangsarbeit hergestellt wurden, vom EU-Markt auszuschliessen. Und das EU-Parlament stimmte kürzlich mit überwältigender Mehrheit für ein Verkaufsverbot für Güter wie Rindfleisch, Soja etc., wenn ihre Produktion zur Zerstörung von Wäldern geführt hat[5].

Wird die Schweiz wieder zur Regulierungsoase?

Das Bild ist also völlig klar: Immer öfter müssen Konzerne in Europa für Schäden an Mensch und Umwelt geradestehen, die sie im Ausland verursachen. Die Schweiz droht also einmal mehr zum europäischen Schlusslicht zu werden. Umso wichtiger, dass die Koalition für Konzernverantwortung, das Nachfolgeprojekt der Konzernverantwortungsinitiative weiter am Ball bleibt. Die Demokratischen Jurist*innen sind weiterhin Mitglied und unterstützen auch die Petition für ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz, die diesem Heft beiliegt. Die Petition fordert Bundesrat und Parlament auf, die Versprechen aus dem Abstimmungskampf, «international abgestimmt» vorzugehen, einzuhalten und jetzt einen neuen Gesetzgebungsprozess in Gange zu bringen. In 100 Tagen sollen 100'000 Unterschriften gesammelt werden – bitte helfen Sie mit und schicken Sie die beilegende Karte rasch zurück.

 

[1] Lov om virksomheters åpenhet og arbeid med grunnleggende menneskerettigheter og anstendige arbeidsforhold (åpenhetsloven), inoffizielle englische Übersetzung: https://lovdata.no/dokument/NLE/lov/2021-06-18-99

[2] Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG) vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959) (FNA 705-3)

[3] Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937

[4] Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on prohibiting products made with forced labour on the Union market 2022/0269

[5] https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220909IPR40140/klimawandel-neue-regeln-sollen-entwaldung-durch-eu-konsum-weltweit-verringern