Stellungnahme der DJS zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregistergesetz; StReG), Februar 2013

Grundsätzliche Bemerkungen

Ausdehnung der staatlichen Kontrollen

Der Vorentwurf zum neuen Bundesgesetz unterstreicht die heutige Tendenz im Gesetzgebungsverfahren, nämlich die Gesetze umfangreicher und detaillierter zu gestalten. Das damit verbundene vermeintliche Ziel, in der Praxis Vereinfachungen erreichen zu können, scheitert oft daran, dass die Komplexität der Materie und der damit zusammenhängende schwierige Gesetzestext häufig zu Ergebnissen führen, die für den Laien schwerlich fassbar sind und selbst für Fachpersonen nicht leicht handelbar sind. Der Aufwand wird grösser, der Schutz des Individuums, insbesondere der Persönlichkeit und der Intimsphäre vermindert sich zunehmend. Der oben zitierte Vorentwurf ist ein gutes Beispiel für die
beschriebene Tendenz.
Der Umfang von 109 Artikeln auf 56 Seiten ist beachtlich, wenn man im Vergleich dazu beispielsweise das Datenschutzgesetz nimmt, welches 39 Artikel umfasst. Das Datenschutzgesetz, worauf im Vorentwurf verwiesen wird, beinhaltet für den Rechtsschutz des Individuums relativ wenige griffige Bestimmungen. In der Regel kann sich eine betroffene Person an die allgemeinen Bestimmungen des Persönlichkeitsschutzes halten, die im Zivilgesetzbuch vorgesehen sind. Das Datenschutzgesetz hat sich in jüngster Zeit auch als relativ schwach entpuppt. Anstiftungen zum Datenklau sind selbst für staatliche Organe nicht nur machbar, sondern ziehen keine rechtlichen Konsequenzen nach sich. Dies wird hier erwähnt, da gewisse Verweise im Vorentwurf des Bundesgesetzes über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA auf das Datenschutzgesetz letztlich als Makulatur erscheinen.

Gesetzesstufe / Definitionen

Die Idee, die Regeln des Strafregisters auf Gesetzesstufe umfassender zu gestalten, ist verständlich. Bis anhin bestanden wenige Bestimmungen im Strafgesetzbuch. Der Rest wurde in einer Verordnung geregelt. Unverständlich war die bisherige Regelung nicht. Dass im neuen Gesetz Begriffe klar definiert werden, ist hilfreich. Dass mittels des neuen Gesetzes versucht wird, die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Behördenstellen zu erleichtern, lässt sich gut begründen. Fragwürdig ist indessen, dass mit dem neuen Gesetz inhaltlich eine nicht zu unterschätzende Ausdehnung der Eintragungen im Strafregister erfolgt und die Erleichterung der Zugriffe der verschiedenen Behördenstellen, dies sowohl im Inland als auch im Ausland, Risiken in sich trägt, die beachtlich sind. Dabei werden die Kontrollmechanismen im Kontext mit den Dateneintragungen und Zugriffen relativ schwach formuliert. Es fehlt auch an rechtlichen Mitteln, wirksam gegen Missbräuche vorgehen zu können. Bedenkt man, dass die Schweiz mit einer äusserst unrühmlichen Geschichte bezüglich Fichen belastet ist, wäre es notwendig gewesen, hinsichtlich der heiklen Eintragungen von Strafurteilen und hängigen Strafverfahren wirksamere Kontrollmechanismen zu regeln und griffige Angriffsmöglichkeiten zu setzen, falls unzutreffende Dateneintragungen erfolgen und Missbräuche bei den Zugriffsmöglichkeiten bestehen.

Nachfolgend wird auf gewisse einzelne Schwerpunkte eingegangen, ohne Anspruch auf Voll-ständigkeit, da dies den Umfang einer zusammenfassenden Stellungnahme sprengen würde.


Zu einzelnen Schwerpunkten des Vorentwurfes zum neuen Bundesgesetz über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA


Ausdehnungen / Erweiterungen

Im Gegensatz zu den bisherigen Bestimmungen werden durch das neue Gesetz längere Aufbewahrungsfristen festgelegt und vor allem auch neue Zugangsrechte generiert. Der Online-Zugang entspricht wohl dem Zeitgeist und der Nutzung der medialen Mittel, beinhaltet indessen aber auch die bekannten Risiken (begangene Fehler lassen sich in deren Konsequenz oft kaum wieder gutmachen). Die Unterscheidung von drei Auszugsarten, Auszüge für Privatpersonen, für Behörden, wobei bezüglich letzteren – je nach Funktion – verschiedene Auszüge bestehen, ist wohl sinnvoll, vermag aber allein nicht zu unterschätzende Risiken nicht zu vermeiden.

Der sogenannte Behördenauszug 1, welcher für einen engeren Kreis dient, wie Strafgerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei wird eine längere Dauer der Urteilsdaten beinhalten sowie alle Daten über hängige Strafverfahren. Dies mag hinsichtlich gewisser Delikte oder/und gewisser Wiederholungstäter sinnvoll erscheinen, derartige Differenzierungen finden sich indessen nicht. Möglich wäre beispielsweise eine Differenzierung bei qualifizierten Gewalt- und Sexualdelikten. Die generell breite Erfassung von Vordaten wird Untersuchungsbehörden bei ihrem Tätigsein beeinflussen, dies nicht nur im positiven, sondern vor allem auch im negativen Sinn. Voreingenommenheiten werden zunehmen. In diesem Kontext wäre – wie ausgeführt – eine Differenzierung von gewissen Delikten sinnvoll. Insbesondere die Registrierung hängiger Strafverfahren, bei welchen stets die Unschuldsvermutung von Gewicht sein müsste, wird betroffene Personen massiv belasten.

Auch die Erweiterung der Aufnahme von Auslandurteilen ist von Gewicht. Wohl wird in Art. 18 d die Mindestsanktionshöhe umschrieben. Im Einzelfall gälte es aber zu prüfen, inwieweit ein solches ausländisches Urteil mit den Bestimmungen in der Schweiz vergleichbar ist. Einschätzungen, welche von den Polizeibehörden, von der Staatsanwaltschaft unter dem Druck, dem diese Behörden ausgesetzt sind, kaum objektiv wahrgenommen werden können. Die Belastung des Einzelnen, der in Verfahren involviert ist, wird enorm zunehmen, was sich vor allem zu Lasten von Personen auswirken wird, die sich nichts zu Schulden kommen liessen, aber in ein Verfahren involviert wurden.

Die elektronische Erfassung der schweizerischen Urteile stellt letztlich auch eine Ausweitung dar, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Gerade in diesem Punkt zeigt sich, wie in der Gesetzgebung oft an der Praxis vorbei gearbeitet wird. Schon heute ist es so, dass Eingaben, Gutachten usw. gespickt sind mit online abrufbarer Literatur oder Entscheiden. Eine neue Dimension zu Lasten der betroffenen Person stellt auch das Herunterladen von Erwägungen, die diese Person bereits aus früheren Verfahren betreffen und die das Risiko von Vorverurteilungen in sich tragen dar.

Richtig und transparent ist es, dass das Gesetz zwischen Entfernung und Vernichtung differenziert (Art. 28 ff.). Die Ausdehnung der Einträge im Behördenauszug wird sich aber auf die Betroffenen massiv auswirken, namentlich gestützt auf den erwähnten Online-Zugang der verschiedensten Behörden, deren Rahmen ebenfalls ausgedehnt worden ist. So erhalten kantonale Polizeistellen Online-Zugang. Die FINMA erhält Online-Zugang. Kantonale Behörden für Pflegekinderaufsicht erhalten Online-Zugang, ebenso die Zentralstelle für internationale Adoptionen. Ausgedehnt wurden die Zugangsrechte des Bundesamtes für Migration. Als neue Behörde wird auch der Bundessicherheitsdienst erwähnt (Art. 47 lit. a.) sowie neben den kantonalen Migrationsbehörden die kantonalen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden.

Man mag über den Umfang und den Sinn solcher Vernetzungen debattieren. Es mag verschiedene Gründe dafür geben. Die tendenzielle Ausdehnung, verbunden mit geringen Abwehrmechanismen, unterstreicht die Tendenz, den einzelnen Menschen vermehrt zu überwachen und zu kontrollieren und letztlich der behördlichen Aufsicht zu unterstellen.

Verbesserung des Datenschutzes

Im erläuternden Bericht zum Vorentwurf wird auf die Verbesserung des Datenschutzes hingewiesen. Eine genaue Analyse dieser Bestimmungen stellt jedoch in Frage, ob diese Verbesserungen zur Makulatur werden. Das Schweizerische Strafregister trägt wohl die Verantwortung für das VOSTRA. Es kann Bearbeitungsrechte der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer erteilen und entziehen (Art. 4 lit. b.). Handfeste Kontroll- und Sanktionsmassnahmen fehlen. Insbesondere fehlt es an wirksamen rechtlichen Möglichkeiten für Betroffene, sich gegen Missbräuche zu wehren. In Art. 4 Abs. 2 lit. g. steht beispielsweise „Es (gemeint ist das Schweizerische Strafregister, Hervorhebung des Verfassers) kontrolliert von Amtes wegen stichprobenweise oder auf Gesuch einer betroffenen natürlichen Person oder eines betroffenen Unternehmens, ob die Daten vorschriftsgemäss bearbeitet werden und ob sie vollständig, richtig und nachgeführt sind.“ Bedenkt man das erwähnte Online-Erfassen von Urteilen, so stellt sich die Frage, ob stichprobenweise Kontrollen ausreichend und behilflich sind. Bis eine betroffene Person erfährt, dass Eintragungen bestehen, dürfte in der Praxis derart viel Zeit verstrichen sein, dass Abwehrmöglichkeiten nicht mehr dieselbe Kraft und Bedeutung haben. Selbst wenn auf die in der Datenschutzgesetzgebung vorgesehenen Protokolle zugegriffen werden darf, gilt es beispielsweise zu beachten, dass automatisch protokollierte Abfragen zugangsberechtigter Behörden bereits zwei Jahre nach erfolgter Abfrage von VOSTRA entfernt werden dürfen. Insbesondere die Überprüfung der Zweckkonformität von Eintragungen dürfte sich als Problem erweisen. Im Rahmen der aktuell grassierenden Sparmassnahmen auf sämtlichen Verwaltungsbereichen dürfte wohl vor allem dort gespart werden, wo es vom Staate aus gesehen als nicht derart notwendig betrachtet werden könnte wie hier bei der Vornahme von Kontrollen über die Korrektheit von Einträgen. Besteht auch genügend geschultes Personal zur Durchführung der Kontrollen? Wenn das neue Gesetz einmal steht, kann daraus aus dem Vollen geschöpft werden, dies unabhängig davon, ob dem Datenschutz Genüge getan wird.

Wohl unterliegen die Eintragungen den allgemeinen Prinzipien wie der Verhältnismässigkeit. Konkretere Möglichkeiten, sich zu wehren, beinhaltet das neue Gesetz nicht. Art. 4 Abs. 2 beinhaltet keine weitergehenden Massnahmen oder Sanktionen beim Verstoss gegen Bearbeitungsvorschriften als solche wie Ermahnung, Aufgebot zum erneuten Besuch von Schulungen oder Ausschluss von der Online-Bearbeitung. Das Gesetz beinhaltet keine Schutzmassnahmen, welche es erlaubten, dass direkt Betroffene wirksam bei bestehenden Falscheintragungen oder unberechtigten Zugriffen gegen die verantwortlichen Behördenmitglieder vorgehen könnten.
Art. 59 des Vorentwurfes enthält ein Auskunftsrecht, wonach jede Person beim Schweizerischen Strafregister darüber Auskunft verlangen kann, ob in VOSTRA oder in der Hilfsdatenbank zur Bestellung von Privatauszügen Daten über sie gespeichert werden. Bei nicht korrekter Eintragung können die Ansprüche nach Art. 25 des Datenschutzgesetzes geltend gemacht werden. Entsprechend Art. 25 des Datenschutzgesetzes ist es lediglich möglich, zu verlangen, dass das widerrechtliche Bearbeiten von Personendaten unterlassen wird, die Folgen eines widerrechtlichen Bearbeitens beseitigt werden und die Widerrechtlichkeit des Bearbeitens festgestellt wird.
Dazu kommt, dass das Auskunftsrecht entsprechend Art. 9 des Datenschutzgesetzes verweigert, eingeschränkt oder aufgeschoben werden kann, dies beispielsweise wegen überwiegend öffentlichen Interessen. Auch hier lassen sich die Schutzmittel von einzelnen Betroffenen massiv einschränken. Vor allem dürften sie in der Praxis zu spät greifen.

Strafregister für Unternehmen

Auf Empfehlung der Europaratskommission wird im neuen Gesetz das Strafregister für Unternehmen eingeführt. Im Rahmen der vorliegenden Stellungnahme wird darauf nicht im Einzelnen näher eingegangen. Was die Kontrollmechanismen und Schutzmassnahmen für die Betroffenen angeht, kann indessen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Aus all diesen Gründen lehnen die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz das vorgesehene Gesetz in dieser Form ab.