Vernehmlassung der Demokratischen JuristInnen der Schweiz zum Entwurf zu einem Bundesgesetz über Massnahmen gegen Gewaltpropaganda und Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (Vernehmlassungsfrist 24. Juni 2005)

Bern, den 24. Juni 2005


EJPD
Dienst für Analyse und Prävention
DAP
3003 Bern

 

Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne nehmen wir zu dem oben aufgeführten Gesetzesentwurf wie folgt Stellung:
I.  Allgemeines
Die Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz DJS sind grundsätzlich gegen die Einführung (weiterer) präventiver Massnahmen im Sinne des obgenannten Entwurfes. Die vorgeschlagenen Sanktionen haben allesamt strafrechtlichen Charakter und können weitestgehend einzig und allein auf begründeten Verdacht hin verhängt werden, ohne dass eine entsprechende Anlasstat notwendig wäre. Solche einschneidende Verdachtssanktionen sind rechtsstaatlich äusserst bedenklich. Es scheint aus Sicht der DJS auch die Vereinbarkeit mit der EMRK nicht ohne weiteres gegeben zu sein.
Die DJS will nicht über das Phänomen der Gewalt an Sportveranstaltungen hinwegsehen. Solche Gewalttätigkeiten oder auch Hooliganismus sind allerdings kein neuartiges Phänomen und es muss an dieser Stelle bestritten werden, dass in den letzten Jahren eine „besorgniserregende Zunahme“ solcher Gewalttätigkeiten stattgefunden hätte. Hier fehlt es an einer entsprechenden Langzeitstudie. Umso bedenklicher erscheint es der DJS, dass in Art. 2 Abs. 1 BWIS Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen auf die gleiche Stufe wie Terrorismus, verbotener Nachrichtendienst, gewalttätiger Extremismus und Rassismus gestellt wird. Die Grenzen zwischen verschiedenen Formen von Gewalt werden somit vermischt und es fehlt an einem eindeutigen Akzent zwischen beispielsweise Terrorismus und Gewalttätigkeiten an Sportveranstaltungen. Dies könnte zur Folge haben, dass sämtliche Formen von Gewaltanwendungen, häusliche Gewalt oder auch Gewalt im Strassenverkehr, den gleichen Stellenwert erhalten und hierfür künftig weitere elektronische Informationssysteme geschaffen werden.

II. Besonderes
a) Informationssystem
Aus Sicht der DJS genügt es bei derartigen Formen von Gewaltanwendung, dass die Informationen des Zentralstrafregisters zur Verfügung stehen. So wird gewährleistet, dass tatsächlich nur die im Zusammenhang eines Strafverfahrens gesammelten Informationen über die Beurteilung der Gefährlichkeit einer entsprechenden Person herbeigezogen werden können. Die Rechtfertigung zur Sammlung und Bearbeitung von Personendaten betreffend Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen wird so offen umschrieben, dass die Massnahme "zur Wahrung der Sicherheit der Sportveranstaltungen notwendig" ist. Konkrete Hinweise auf die Begehung einer Straftat durch eine entsprechende Person werden nicht einmal zur Voraussetzung gemacht. Der Anlass für eine solche nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung – Gewalttätigkeiten an Sportveranstaltungen – steht in keinerlei Verhältnis zu dem damit einhergehenden Grundrechtseingriff. Bedenklich erscheint denn auch, dass in den Erläuterungen zum Entwurf vom 1. März 2005 festgehalten wird, dass auch äusserliche Merkmale wie fanclub-typische Kleidung der Gewalttäter als Erkennungsmerkmale für den Bezug zu einer Sportveranstaltung in Betracht kommen. Der Kreis der allenfalls verdächtigen Per-sonen wird dadurch uneinschränkbar gross. Das in Artikel 24b vorgesehene Ray-onverbot wird zu einer flächendeckenden Personen-Kontroll-Aktivität der Polizeien führen, was unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit inakzeptabel ist.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Phänomen von Gewalttätigkeiten an Sportveranstaltung durch die Verstärkung der Fanarbeit vor Ort anzugehen ist und auch angegangen werden kann. Die Einrichtung eines elektronischen Informationssystems würde zu einer weitgehend erlaubten gesetzlich sanktionierten Überwachung und Registrierung grosser Bevölkerungsgruppen führen. Eine derart umfassende Informationsbeschaffung ist nicht gerechtfertigt. Die DJS haben auch grösste Bedenken bezüglich der Datenweitergabe aus dieser Staatsschutzdatei an Dritte Dienste im In- und Ausland. Damit würde eine schwerwiegende Einschränkung der Bewegungs- und Reisefreiheit ausgelöst, basierend auf Informationen, die nachrichtendienstlichen Charakter haben.
Mit Ausnahme der sog. Hooligan-Datenbank handelt es sich bei dem vorliegenden Entwurf ausschliesslich um sicherheitspolizeiliche Massnahmen. Nicht nur um Prävention im staatsschützerischen Sinne, sondern um präventive Zwangsmassnahmen, die von den Kantonspolizeien ausgeführt werden müssen. Entsprechende Regelungen unterliegen damit der Polizeihoheit der Kantone. Von daher stellt sich für die DJS grundsätzlich die Frage der Zuständigkeit des Bundes für eine solche Gesetzgebung (Art. 57 Bundesverfassung). Die Begründung, dass sich diese Zuständigkeit des Bundes u.a. daraus ergebe, dass die Krawalle beim Fussball und anderen grösseren Sportanlässen den „Ruf der Schweiz schädigen“, können die DJS nicht zulassen.

b) Rayonverbot
Hierbei handelt es sich um die aus Sicht der DJS um eine rechtsstaatlich nicht verantwortbare Sanktion. Das Rayonverbot ist eine rein präventive Massnahme, die ausschliesslich aufgrund von Vermutungen und Aussagen der polizeilichen Szenekenner, Fanbeauftragten oder des Sicherheitspersonals der Stadien ausgesprochen wird. Die Beteiligung an einem Gewaltakt wird nicht gerichtlich abgeklärt. Vielmehr sollen Stadionverbote nach aussen zum Rayonverbot verlängert werden, wenn das Stadionverbot aufgrund einer (vermuteten) Beteiligung an einem Gewaltakt ausgesprochen wurde. Wie der Nachweis der Beteiligung an einem Gewaltakt erbracht werden soll, wird in den Erläuterungen und im Gesetzesentwurf nicht ausgeführt. Der ganzen Systematik des Entwurfs nach ist daher zu befürchten, dass es sich auch hier nicht um einen gerichtlichen Nachweis, also eine rechtskräftige Verurteilung handeln soll.
Allenfalls wäre denkbar, dass bei einer Veruteilung wegen Landfriedensbruch im Zusammenhang mit Sportereignissen als Nebenstrafe ein zeitlich befristetes Stadionverbot ausgesprochen wird. Ein Rayonverbot würde aber voraussetzen, dass die Polizei in grossem Umkreis von Stadien flächendeckende Personenkontrollen durchführen müsste. Diese (personalintensiven) würden notwendigerweise auch alle anderen friedlichen Fans und darüber hinaus alle weiteren Personen, die sich in diesem Raum bewegen betreffen. Eine solche Praxis käme faktisch einer Ausweistragepflicht gleich, die wir nicht akzeptieren können und die auch gesetzlich nicht vorgesehen ist.


c) Ausreisebeschränkung / Meldeauflage
Auch wenn in den Erläuterungen zum Entwurf vom 1. März 2005 betont wird, dass die neu vorgesehenen Sanktionen kaskadenförmig aufgebaut seien und gemäss dem Verhältnismässigkeitsprinzip zunächst immer die Verhängung einer milderen Sanktion in Erwägung zu ziehen ist, ist festzuhalten, dass dies nur rein theoretisch der Fall ist. Keine der weiteren vorgeschlagenen Sanktionen knüpft unmittelbar an die nachweisliche Begehung einer Straftat an. Sowohl die Ausreisebeschränkung, das Rayonverbot als auch die Meldeauflage können verhängt werden, ohne dass der entsprechenden Person die Begehung eines strafrechtlich vorwerfbaren Deliktes nachgewiesen worden ist. In allen Fällen genügt es, dass einerseits aufgrund des Verhaltens angenommen werden muss, dass eine Person sich anlässlich einer Sportveranstaltung an stimmungsgeladenen Gewaltakten beteiligt resp. dass aufgrund konkreter materieller Tatsachen anzunehmen ist, dass sich eine Person durch andere Massnahmen nicht von Gewaltakten anlässlich von Sportveranstaltungen abhalten lasse. Somit können Ausreisebeschränkungen / Meldeauflagen gegenüber Personen verhängt werden, gegenüber denen beispielsweise kein Rayonverbot verhängt werden könnte. Solche rein präventiven Sanktionen werden seitens der DJS abgelehnt.

d) Polizeigewahrsam
Auch im Falle der schärfsten Sanktion des Polizeigewahrsams genügt, dass konkrete Hinweise vorliegen, dass sich jemand anlässlich einer nationalen oder internationalen Sportveranstaltung an der Begehung schwerwiegender Gewaltakten gegen Personen oder Sachen beteiligen könnte. Wir haben es mit einer doppelten Hypothese zu tun: zunächst ist nicht klar, ob es an einer entsprechenden Sportveranstaltung überhaupt zu Ausschreitungen kommt und ob im Einzelnen dann die entsprechende Person daran teilnimmt. Trotz dieser Ungewissheiten soll der Polizeigewahrsam als ultima ratio möglich sein. Dies lehnen die DJS vollumfänglich ab; es entspricht auch nicht den Grundsätzen gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK, wonach eine Präventivhaft unter bestimmten Umständen möglich ist. Es muss hierbei aber immer der Verdacht auf die Begehung einer konkreten Tat bestehen. In solchen Fällen kann nicht noch offen sein, ob es überhaupt zu einer entsprechenden Straftat kommt oder nicht. Vorfälle wie anlässlich der Super-League-Spiels zwischen dem FC Basel und dem FC Luzern im Jahre 2002 sind nicht von langer Hand voraussehbar, sie sind vielmehr die Folge einer Verkettung diverser Umstände. Niemand kann zu irgendeinem Zeitpunkt voraussagen, ob es bei einer Sportveranstaltung tatsächlich zu Gewalttätigkeiten kommen wird oder nicht. Somit ist ein derartiger Polizeigewahrsam als nicht EMRK-konform zu bezeichnen.

Überdies ist zu bemängeln, dass eine richterliche Überprüfung des angeordneten Polizeigewahrsams nur auf Verlangen des Verhafteten erfolgen soll. Auch dies muss als EMRK-widrig bezeichnet werden. Jeder Verhaftete hat das Recht, innert nützlicher Frist vor den Richter zu gelangen. In solchen Fällen der kurzen Präventivhaft ist es unabdingbar, dass hier von Anfang an der Richter unter Anhörung des Betroffenen über die Verhängung eines entsprechenden Polizeigewahrsams entscheidet. Dass dies nur auf Verlangen des Verhafteten geschehen soll, ist für die DJS besonders stossend.

e) Fazit
Abschliessend kann festgehalten werden, dass keine der neuen Sanktionen zu überzeugen vermag, sondern vielmehr einen bedenklichen Einbruch in den Rechtsstaat bedeuten. Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Massnahmen generieren zudem enorme Kosten zulasten der  Kantone. Die DJS sind überzeugt, dass das bestehende Strafrecht genügt. Weit sinnvoller und nachhaltiger sind Anstrengungen und der Ausbau einer professionellen Fanarbeit, nicht nur im Hinblick auf die EURO 2008 in der Schweiz. Dazu braucht es aber zwingend die ideelle und finanzielle Unterstützung der Sportclubs und Sportverbände.

Wir hoffen, dass unsere Überlegungen in die künftige politische Debatte um Massnahmen gegen Gewalttaten an Sportveranstaltungen einfliessen werden und verbleiben mit freundlichen Grüssen

Catherine Weber
Geschäftsführerin DJS