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10. April 2021

Stellungnahme zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Ausländer- und Integrationsgesetz sowie zum Asylgesetz (EG AIG und AsylG)

Sehr geehrter Herr Regierungsrat, sehr geehrte Damen und Herren

Die Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) bedanken sich für die Möglichkeit, zu den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen Stellung nehmen zu können.

Die djb stellen die Verfassungsmässigkeit der Anwesenheits- und Übernachtungspflicht in den Rückkehrzentren grundsätzlich in Frage. Im Weiteren hat das letzte Jahr gezeigt, dass die langfristige Unterbringung in einem Rückkehrzentrum nicht nur die Bewegungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre tangiert, sondern auch die Gesundheit der in den Rückkehrzentren auf engstem Raum zusammenlebenden Menschen gefährdet. Deshalb begrüssen die djb die vom Grossen Rat initiierten Gesetzesänderungen, welche es ermöglichen, dass die Nothilfe auch an Personen ausbezahlt wird, die privat untergebracht sind. Die djb erachten die Möglichkeit der privaten Unterbringung als wichtiges Korrektiv, um die problematischen Folgen, welche die Unterbringung in den sogenannten Rückkehrzentren (Umsetzung NA-BE) auf Personen hat, die nicht nur ein paar Wochen, sondern längerfristig in diesen Strukturen leben müssen, zumindest teilweise abzumildern.

Dank der Möglichkeit der privaten Unterbringung kann zumindest ein Teil der betroffenen Personen, die in den Rückkehrzentren mangels realer Rückkehrmöglichkeit grösstenteils sowieso fehl am Platz sind, unter menschwürdigen Bedingungen bei Privaten untergebracht werden. Dies kommt nicht nur den betroffenen Personen zugute, sondern führt aufgrund des Wegfallens des Betreuungsaufwandes auch zu geringeren Kosten für den Kanton. Da abgewiesene Asylsuchende nicht arbeiten dürfen und es ihnen deshalb nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, sind Private, die eine oder mehrere Personen bei sich aufnehmen, faktisch dazu verpflichtet, nicht nur für deren Unterbringung, sondern auch für die anfallenden Lebenshaltungskosten aufzukommen. Dies, obwohl die Gewährleistung der staatlichen Nothilfe gegenüber bedürftigen Personen Aufgabe der Kantone ist. Ein Faktor, der sich mitunter limitierend auf das Angebot an privaten Unterbringungsplätzen auswirkt. Mit der vorliegend vorgeschlagenen
Gesetzesänderung, die es ermöglicht, Nothilfe auch an Personen auszuzahlen, die privat untergebracht sind, wird dieser Mangel korrigiert.

Obwohl die djb die vorgeschlagenen Änderungen – wie soeben dargelegt – grundsätzlich sehr begrüssen, erlauben wir uns, auf einige kritische Punkte der Vorlage hinzuweisen:

  • Erstens erscheint es den djb wichtig, den Kreis der Personen, die potentiell von der Unterbringung bei Privaten Gebrauch machen können, möglichst wenig einzuschränken. Dies einerseits mit Blick auf die Gleichbehandlung und andererseits deshalb, weil grundsätzlich alle Personen, bei denen der Vollzug der Wegweisung nicht unmittelbar bevorsteht und die daher länger als ein paar Wochen in den Strukturen der Rückkehrzentren leben müssen, die Möglichkeit haben sollen, von einer privaten Unterbringung zu profitieren, um sich vor den negativen Folgen zu schützen, die eine längerfristige Unterbringung in den dafür nicht geeigneten repressiven Strukturen der Rückkehrzentren nach sich ziehen würde. Es ist aus unserer Sicht daher nicht verständlich, warum zusätzlich zur Voraussetzung der Nichtabsehbarkeit des Vollzugs der Wegweisung eine 2-Jahresfrist gelten sollte (vgl. Ausführungen zu Art. 23a Abs. 1 lit. b). Insbesondere für Familien mit Kindern wäre es mehr als stossend, wenn diese zuerst zwei
    Jahre in einer nicht kindsgerechten Umgebung verbringen müssten, bevor ihnen die Möglichkeit der Privatunterbringung offenstehen würde.
  • Zweitens sind die Voraussetzungen für die private Unterbringung – von der nota bene sowohl die betroffenen Personen als auch der Kanton profitiert – so niederschwellig wie möglich zu halten. Im Einzelfall keinen Einfluss auf die «Bewilligung» einer privaten Unterbringung darf der ordnungsgemässe und wirtschaftliche Betrieb der Kollektivunterkünfte haben. So ist es bspw. nicht zulässig, eine derartige Unterbringung nur deshalb nicht zu erlauben, weil die zentrumsführende Organisation ihren Profit aufgrund von Leerstand nicht maximieren kann. Sinkt der Bedarf an Plätzen in Rückkehrzentren, hat der Kanton entsprechend zu reagieren und einzelne Unterkünfte zu schliessen, um keine unnötigen Kosten zu verursachen (vgl. Ausführungen zu Art. 23a Abs. 2 lit. e).
  • Grundvoraussetzung für das Gelingen des Zusammenlebens ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Gastgeber*innen und Gästen. Mitbewohner*innen wählen sich daher gegenseitig aus, das Zusammenleben muss für alle Beteiligten gewollt sein. Warum dies im Bereich der privaten Unterbringung anders sein sollte und gerade hier keine Wahlfreiheit bestehen sollte, ist nicht ersichtlich. Dies umso weniger als es sich um eine freiwillige Möglichkeit handelt (Private können freiwillig eine bestimmte Person bei sich aufnehmen, nothilfebeziehende Personen können freiwillig bei einer bestimmten Person wohnen). Eine derartige Regelung würde sich limitierend auf das Angebot an privaten Unterbringungsplätzen auswirken und damit dem Ziel des Entscheides des Grossen Rates entgegenlaufen. Oder mit anderen Worten: die private Unterbringung würde im selben Gesetz, welche diese erst ermöglicht, durch die Hintertür gleich wieder sabotiert (vgl. Ausführungen zu Art. 23b).
  • Hinsichtlich der individuellen Festlegung der Art und Periodizität der Bargeldauszahlung sind zwei Punkte zu beachten. Einerseits darf die Möglichkeit der individuellen Festlegung nicht zu Diskriminierungen oder ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen führen, andererseits darf die Periodizität nicht zu hoch angesetzt werden. Um den Eingriff in die persönliche Freiheit sowie den Aufwand und die Kosten gering zu halten, sowohl auf Seiten der Behörden als auch auf Seiten der privat untergebrachten, nothilfebeziehenden Person, und gleichzeitig eine gewisse
    Kontrolle gewährleisten zu können, erscheint eine monatliche Bargeldauszahlung angemessen (vgl. Ausführungen zu Art. 23d).
  • Zu guter Letzt ist es den djb ein grosses Anliegen, die Sicherheitsdirektion darauf hinzuweisen, dass die Gewährleistung der Nothilfe – hier in Form der Bargeldauszahlung – ausschliesslich dann eingestellt werden darf, wenn die betreffende Person nicht mehr bedürftig ist. Erfüllen die Privaten oder die nothilfebeziehenden Personen die Voraussetzungen für eine private Unterbringung oder ihre Pflichten nicht oder nicht mehr, kann daraus nicht automatisch auf eine fehlende Bedürftigkeit der nothilfebeziehenden Person geschlossen werden (fehlender
    Kausalzusammenhang). Die Bedürftigkeit ist vielmehr einzelfallgerecht abzuklären (vgl. Ausführungen zu Art. 23e).

Die djb bedanken sich für Berücksichtigung ihrer Stellungnahme und sehen dem weiteren Gesetzgebungsprozess mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüssen

Michael Christen
Geschäftsleiter djb

Die Stellungnahme finden Sie hier als pdf. Die vollständige Vernehmlassungsantwort ist auf Anfrage erhältlich.