Ist das «ausgedehnte Bettelverbot» wirklich EMRK konform?
An der morgigen Grossratssitzung wird über die Wiedereinführung des Bettelverbots im Kanton Basel- Stadt beraten. Wie die Regierung in ihrem Ratschlag korrekterweise ausführt, ist ein absolutes Bettelverbot, wie es der Kanton Basel-Stadt bis zur Totalrevision des ÜStG kannte, nicht zulässig, denn es verstösst gegen die Garantien von Art. 8 EMRK, dem Schutz des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Doch auch der nun von der Regierung vorgelegte Vorschlag für ein «ausgedehntes Bettelverbot» scheint aus unserer Sicht im Hinblick auf die Garantien von Art. 8 EMRK, welche im Urteil Lacatus gegen die Schweiz vom 19. Januar 2021 in Bezug auf das Betteln erstmals präzisiert wurden, bedenklich.
Im EGMR Urteil wird ausgeführt, dass lediglich der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sowie der Schutz der Grundrechte Dritter in Form des Schutzes vor Menschenhandel und Ausbeutung, öffentliche Interessen sind, die eine Einschränkung des Bettelns erlauben. Es darf jedoch im Hinblick auf die Garantien von Art. 8 EMRK und mit Blick auf die Rechtsgleichheit nicht vorschnell auf ein öffentliches Interesse an einem weitgehenden Bettelverbot geschlossen werden.1 Insbesondere begründen subjektive Empfindungen gegenüber den Bettelnden als lästig oder störend noch kein hinreichendes öffentliches Interesse an einem Verbot und stellen wohl auch keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.
Zudem zählt die vorgeschlagene örtliche Ausdehnung des Bettelverbots in § 9 Abs. 2 lit. a bis g des regierungsrätlichen Ratschlags eine solche Vielzahl von Orten auf, dass es fraglich ist, ob es sich hierbei überhaupt noch um eine Begrenzung des Bettelverbots handelt oder ob der Vorschlag der Regierung nicht vielmehr einem unzulässigen absoluten Verbot gleichkommt. Nur mit einer tatsächlichen und verhältnismässigen örtlichen Einschränkung des Bettelverbots ist ein solches mit den Garantien von Art. 8 EMRK vereinbar.
Auch ist aus unserer Sicht die sehr weit gefasste Definition des “organisierten Bettelns” problematisch, da sie sich nicht auf ausbeuterische Strukturen beschränkt, sondern vielmehr wohl bereits jegliches Zusammenwirken und Absprachen zwischen den Bettelnden erfasst und daher einen sehr weiten Anwendungsbereich hat und insbesondere auch Personen bestraft, die zum Betteln geschickt und ausgebeutet werden. Eine Praxis, die von der Expertengruppe des Europarates gegen Menschenhandel GRETA kritisiert wird.
Die von der Regierung vorgelegte Teilrevision des §9 ÜStG macht zwar auf den ersten Blick den Anschein, dass es sich um verhältnismässige Einschränkungen handelt, faktisch führt das sogenannte «ausgedehnte Bettelverbot» aber wieder zu einem absoluten Bettelverbot an allen Orten, an denen sich Menschen aufhalten und an denen das Betteln überhaupt sinnvoll ausgeübt werden kann, weshalb wir bezweifeln, dass dem Schutzbereich von Art. 8 EMRK genügend Rechnung getragen wird.
Stimmt der Grosse Rat der vorliegenden Revision des §9 ÜStG zu, fühlen wir uns zum Schutz der Grundrechte von teils sehr vulnerablen Personen dazu veranlasst, eine Anfechtung der Teilrevision mittels abstrakter Normenkontrolle am Bundesgericht zu prüfen.