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14. November 2024

Unabhängige NGOs lehnen Schweizer Beteiligung am dysfunktionalen und menschenverachtenden EU-Asylpakt ab

Das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich hat heute seine Vernehmlassungsantwort zur Schweizer Übernahme des EU-Migrations- und Asylpaktes eingereicht. Aufgrund der massiven Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und der damit einhergehenden Aushöhlung des Asylrechts lehnt das Bündnis den EU-Asylpakt vollumfänglich ab.

«Die EU-Asylreform ist ein Kniefall vor den rechten und rechtsextremen
Kräften in Europa und basiert auf dem Irrglauben, Migration lasse sich durch Entrechtung und Gewalt tatsächlich aufhalten. Dabei löst die Reform die derzeitigen Probleme im Asyl- und Migrationsbereich nicht, sondern verstärkt sie sogar: Die Staaten an der EU-Aussengrenze werden im Stich gelassen, Asylsuchende werden sanktioniert und interniert und der neue  «Solidaritätsmechanismus» ist nur ein lückenhafter Ablasshandel.» So Simon Noori, Co-Geschäftsleiter von Solidarité sans frontières und Co-Autor der Vernehmlassungsantwort.

Lara Hoeft, Juristin, Co-Geschäftsleiterin von Pikett Asyl und ebenfalls Co-Autorin der Vernehmlassungsantwort hebt hervor: «Weiterentwicklungen im Sinne von Geflüchteten oder  Normen zum Schutz von asylsuchenden Personen sind in der Reform kaum zu finden. Die EU hat es versäumt, das dysfunktionale Dublin-System zu überwinden und eine progressive Migrationspolitik zu etablieren. Menschenwürde und Solidarität mit Geflüchteten, Grund- und Menschenrechte sowie der Zugang zum Recht auf Asyl werden ebenso wenig verteidigt, wie legale Migrations- und
Fluchtwege geschaffen werden.»

Die Schweiz muss nur die Teile des Paktes übernehmen, die eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands darstellen. Sie beteiligt sich jedoch mittelbar an den  menschenrechtlich problematischen Verfahren an den EU-Aussengrenzen und profitiert von der europäischen Abschottung, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Aber auch in der Schweiz wird es zu einschneidenden Verschärfungen für flüchtende Menschen kommen:

  • Der Dublin-Mechanismus wird als Grundprinzip beibehalten und im Detail weiter verschärft.
    Durch die Verlängerung der Dublin-Überstellungsfristen werden flüchtende Menschen noch länger in einer prekären rechtlichen Grauzone gehalten und von Ausschaffungen bedroht sein.
  • Neu können Zwangsmassnahmen gegenüber Kindern ab sechs Jahren angewendet werden,
    z.B. um ihre Fingerabdrücke zu erfassen oder um sie in die vermeintlich zuständigen Mitgliedstaaten auszuschaffen.
  • Durch die neue Überprüfungsverordnung und die revidierte EURODAC-Verordnung wird es zu mehr Inhaftierungen und zu einer massenhaften Datenerfassung von Geflüchteten auch im Inland kommen. Das Risiko für Racial Profiling wird sich weiter erhöhen.
  • Anstatt die Flüchtenden ihre Zielstaaten wählen zu lassen, wie dies für Vertriebene aus der Ukraine ohne grössere Probleme funktionierte, ignoriert die GEAS-Reform die Interessen der Asylsuchenden. Angesichts der sehr unterschiedlichen Lebens- und Schutzbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten wird dies nicht zu einer Verringerung der Sekundärmigration innerhalb Europas führen. Stattdessen wird sich die Situation von Asylsuchenden aufgrund neuer Sanktionen weiter verschlimmern.

Mit der Reform stirbt die Hoffnung auf eine solidarische europäische Asylpolitik. Das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich lehnt daher die Übernahme des EU-Asylpaktes und die damit einhergehenden menschenverachtenden Verschärfungen auch im Schweizer Asylsystem ab.

Sollte die Übernahme der Reform nicht verhindert werden können, fordert das Bündnis von der Schweiz, dass die bereits jetzt äusserst prekären Lebensbedingungen von Asylsuchenden nicht noch weiter verschlechtert werden. Stattdessen sollten die wenigen Spielräume, die die Reform bietet, zugunsten der Geflüchteten genutzt werden:

  • Die Schweiz soll die Haftbedingungen, den Rechtsschutz, die Unterbringung sowie die
    Rechtsposition migrierter Personen verbessern und den Familienbegriff erweitern.
  • Die Schweiz soll das Schutz- und Lebensniveau von Asylsuchenden und Geflüchteten an europäische Standards angleichen. Es kann nicht sein, dass sich die Schweiz lediglich an den Teilen der Reform beteiligt, die extrem nachteilig für die betroffenen Menschen sind, die europäischen Schutzvorschriften jedoch nicht beachtet.
  • Die Schweiz soll die Rechtsposition vorläufig Aufgenommener an jene des subsidiären
    Schutzes der EU angleichen.
  • Die Schweiz soll sich verpflichtend am europäischen Solidaritätsmechanismus beteiligen,
    und zwar verbindlich durch Übernahmen von Schutzsuchenden.
  • Die Schweiz soll sich zum Kindesschutz bekennen und auf Überstellungen und Zwangsmassnahmen gegenüber Minderjährigen verzichten.
  • Die Schweiz sollte einen konsequenten, unentgeltlichen Rechtsschutz im Screening-, Asyl und Wegweisungsverfahren sicherstellen.

In der Vernehmlassungsantwort wird detailliert auf die einzelnen Rechtsakte des Paktes und
auf ihre Bedeutung für die Schweiz eingegangen. Dabei werden verschiedene Forderungen gestellt, die indes stets zweitrangig hinter derjenigen der Ablehnung des Paktes als Ganzes
stehen.

Die Medienmitteilung als PDF finden Sie hier.