Gebrauch und Missbrauch der Polizeilichen Kriminalstatist
Jedes Jahr wird im Frühling die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des vergangenen Jahres veröffentlicht. Wenig später übertrumpfen sich Medien und Politikerinnen und Politiker mit daraus abgeleiteten Forderungen: So seien Personen gewisser Staatsangehörigkeiten schneller auszuschaffen, mehr Stellen in der Polizei zu schaffen oder härtere Strafdrohungen für Gewalt gegen Beamtinnen und Beamte vorzusehen.
Wenn die PKS für solch unterschiedliche Forderungen herhalten muss, lohnt es sich zu fragen: Was sagt diese Statistik denn überhaupt aus? Dazu ist zuerst zu klären, was die PKS denn misst. Anders als man dies anhand der öffentlichen Debatte meinen könnte, ist das nämlich nicht, welche Straftaten in der Schweiz begangen wurden. Die PKS misst nämlich nur, welche Straftaten die Polizei gezählt hat. Dieser Unterschied erscheint klein, ist aber gewaltig:
Erstens umfasst die Statistik diejenigen Straftaten nicht, von denen der Staat gar keine Kenntnis erlangt (das sogenannte Dunkelfeld). Aber auch die registrierten «Straftaten» decken sich keineswegs mit den real verübten Straftaten: Denn alles, was in einem Strafverfahren nach Eingang in die PKS passiert, scheint in der Statistik nicht auf – so bleibt eine «Straftat» in der PKS trotz Freispruch vor Gericht für immer eine «Straftat».
Da die PKS aber nur zeigt, was die Polizei zählt, sind auch Veränderungen der registrierten «Straftaten» von der Polizei abhängig. Daher gilt: Werden mehr Polizistinnen und Polizisten eingestellt, werden auch mehr Straftaten gezählt. Die Polizei kann die Ergebnisse der PKS dabei auch aktiv steuern. Ein Beispiel: Durch mehrere Polizeikorps wurde die Anweisung an die Mitarbeitenden herausgegeben, Handlungen gegenüber Polizistinnen und Polizisten so oft wie möglich als «Gewalt gegen Beamtinnen und Beamte» anzuzeigen. Entsprechend stiegen die entsprechenden Zahlen in der PKS.
Die PKS bildet zudem nur den Blick der Polizei ab. Da die Polizei Personen nach rassistischen Kriterien zur Kontrolle auswählt, führt dies dazu, dass etwa People of Colour öfters durch die Polizei registriert werden und sich entsprechend öfters in der PKS wiederfinden.
Dazu kommt auch, dass viele Straftaten (etwa des AIG) nur durch Personen ohne Schweizerische Staatsangehörigkeit begangen werden können. Damit werden Handlungen kriminalisiert, die für Schweizerinnen und Schweizer straflos sind, was logischerweise zu einer überproportionalen Vertretung von Ausländerinnen und Ausländer in der PKS führt.
Und schliesslich gilt: Für viele sozial schädliche Handlungen interessiert sich weder die Polizei noch das Strafgesetzbuch. So wird etwa in der PKS weder widergespiegelt, wenn ein CEO einer Bank eine wirtschaftliche Krise auslöst oder Unternehmen den Klimawandel massiv beschleunigen.
Um die Frage zu beantworten, wer welche Kriminalität in der Schweiz begeht oder gar welches sozial schädliche Verhalten existiert, kann aus der polizeilichen Kriminalstatistik also reichlich wenig abgeleitet werden. Wenn daraus kriminal- oder gesellschaftspolitische Forderungen abgeleitet werden, sollte man diese also mit grosser Vorsicht geniessen.
Benjamin Stückelberger,
Vorstandsmitglied DJS Sektion Basel