Vernehmlassung 2024/58 Reporting (Gegenvorschlag KOVI)
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Vernehmlassung 2024/58 Änderung des Obligationenrechts (Transparenz über Nachhaltigkeitsaspekte)
1. Grundsätzliche Bemerkungen
Die Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 einzig am Ständemehr scheiterte, verlangte eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards und eine zivilrechtliche Haftung für Schäden von kontrollierten Unternehmen. In der parlamentarischen Debatte zur Initiative setzte sich ein indirekter Gegenvorschlag durch, der weitgehend auf Berichterstattungspflichten setzte, ergänzt mit vereinzelten Sorgfaltspflichten in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien, diese allerdings ohne jegliche Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung. Diesen Gegenvorschlag hat die Koalition schon 2020 als ungenügend kritisiert. Dies, weil verschiedene Studien zeigen, dass reine Berichterstattungspflichten nicht dazu führen, dass Unternehmen die Respektierung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihrer Geschäftstätigkeit verbessern.
Zudem bezog die Entscheidung des Parlamentes, in erster Linie auf Berichterstattungspflichten zu setzen, die 2020 absehbare internationale Entwicklung nicht mit ein: Die EU hat bereits 2014 mit der Non-Financial-Reporting-Richtlinie (NFRD) Berichterstattungs-pflichten erlassen und kam im Januar 2020 – ein halbes Jahr vor der Verabschiedung des Gegenvorschlags durch die eidgenössischen Räte – aufgrund einer Evaluation[1] zum Schluss, dass die Berichterstattungspflichten alleine bei Unternehmen «nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen geführt haben»[2]. Auch eine Studie der Freien Universität Berlin stellte bereits 2019 fest, dass Berichtspflichten allein kein geeignetes Instrument[3] seien, um gegen die Missachtung von Menschenrechten oder anderen gesellschaftlichen Verantwortungen vorzugehen. Sie können zwar die Transparenz erhöhen, implizieren aber keinerlei Handlungspflichten für die Unternehmen, in ihrer Geschäftstätigkeit den Schutz von Menschenrechten oder Umweltstandards zu verbessern.
Die EU schloss daraus, dass es stattdessen die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten in Kombination mit einer wirksamen Durchsetzung braucht, wie sie Frankreich bereits seit 2017 und Deutschland seit 2021 kennt.
Aus diesem Grund hat die EU seit 2020 die Konzernverantwortungsrichtlinie (CSDDD) erarbeitet und am 24. Mai 2024 final verabschiedet. Sie beinhaltet umfassende Sorgfaltspflichten für Unternehmen sowie griffige Sanktionsmassnahmen.
Der Bundesrat bekräftigt im erläuternden Bericht zur vorliegenden Vernehmlassung, dass er im Bereich der nachhaltigen Unternehmensführung international abgestimmt vorgehen will. Trotzdem berücksichtigt der Bundesrat in der vorliegenden Vernehmlassung nur eine Weiterentwicklung der Berichterstattungspflichten, welche die EU bereits 2022 beschlossen hatte (Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD).
Noch mehr als 2020 bedeutet «international abgestimmt» heute, dass neben Berichterstattungspflichten (CSRD) auch umfassende Sorgfaltspflichten sowie die nötige Durchsetzung (CSDDD) in den Blick genommen werden müssten. Will die Schweiz möglichst zeitgleich wie die EU-Staaten[4] eine verbindliche und kohärente Regulierung in dem Bereich vorlegen müssen, muss ein entsprechender Gesetzgebungsprozess so schnell wie möglich gestartet werden.
Die Demokratischen Jurist*innen Schweiz unterstützen das Anliegen des Bundesrates, im Bereich der nachhaltigen Unternehmensführung international abgestimmt vorzugehen. Die Inhalte der vorliegenden Vernehmlassungsvorlage stellen aber nur einen kleinen Schritt in diese Richtung dar. Für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt relevanter ist die Einführung von Sorgfaltspflichten für Schweizer Unternehmen. Wir fordern den Bundesrat deshalb auf, die Einführung von Sorgfaltspflichten für Unternehmen umgehend an die Hand zu nehmen und nicht weiter hinauszuzögern. Grosse Schweizer Unternehmen sollen genauso wie ihre europäischen Konkurrenten verpflichtet werden, Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Geschäften weltweit zu respektieren und bei Verstössen zur Verantwortung gezogen werden können.
2. Zur Vernehmlassungsvorlage im Konkreten
Die Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im OR sollen mit dieser Vorlage an die Vorgaben der EU-Richtlinie CSRD angeglichen werden. Mit einer Senkung der Schwellenwerte, umfassenderen Vorgaben zum Inhalt der Berichterstattung, dem Wegfall der Möglichkeit zu «comply or explain» sowie einer verbindlichen Überprüfung der Berichte wird die Transparenz und Vergleichbarkeit der Berichte erhöht, was die Demokratischen Jurist*innen Schweiz begrüssen. Auf folgende Anpassungen möchten wir detaillierter eingehen:
2.1 Anpassung der Schwellenwerte nimmt mehr Unternehmen in die Pflicht
Die Schwellenwerte für die Definition der pflichtigen Unternehmen sollen gemäss Art. 964a VE-OR gesenkt werden. Die Demokratischen Jurist*innen Schweiz begrüssen die Ausweitung auf Unternehmen, die zwei der drei folgenden Schwellenwerte in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren überschreiten: 250 Vollzeitstellen / 50 Millionen Franken Umsatzerlös / 25 Millionen Franken Bilanzsumme.
Damit werden gemäss Regulierungsfolgeabschätzung rund 2’700 Unternehmen[5] neu verpflichtet, über ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen zu berichten, was die Transparenz verbessert.
2.2 Fehlende Übernahme der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) führt zu fehlender Vergleichbarkeit
Zweck und Inhalt der Berichte werden mit Artikel Art. 964c VE-OR deutlich detaillierter und genauer umschrieben als bisher. Damit ist klarer, über welche Bereiche Unternehmen berichten müssen, was die Transparenz und die Vergleichbarkeit der Berichte erhöht. Gleichzeitig will der Bundesrat auf die Einführung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verzichten und schlägt vor, auf Verordnungsebene gleichwertige Standards zu bezeichnen (Art. 964c Abs. 5 VE-OR).
Für uns ist unklar, was der Bundesrat meint, wenn er im erläuternden Bericht schreibt, dass ein zu den ESRS gleichwertiger Standard der «Global Reporting Initiative [GRI] Standard in Kombination mit den IFRS Sustainability Disclosure Standards des International Sustainability Standards Board (ISSB)»[6] sein könnte. Gemäss Regulierungsfolgenabschätzung im Auftrag des Bundesrats sind heute nämlich keine gleichwertigen Standards bekannt: «Stand heute gibt es keine gleichwertigen Alternativen zu ESRS. Denn die ESRS-Standards sind deutlich detaillierter als alle potenziellen Alternativen. Die TCFD-Standards fokussieren allein auf Klimaaspekte, nicht auf die sozialen und Governance-Aspekte. Die IFRS/ISSB-Standards verfolgen einen grundlegend anderen Ansatz, nämlich einfache, statt doppelte Materialität (IFRS, 2023). Die GRI-Standards kommen den ESRS-Standards zwar am nächsten, sind aber ebenfalls weniger umfangreich.»[7] Es ist zu betonen, dass das Prinzip der «doppelten Materialität» eine absolut unverzichtbare Voraussetzung für jeden Berichtsstandard ist, der sich an den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen orientiert. Es besagt, dass alle Aspekte für die Berichterstattung relevant sind, welche eine finanziell negative Auswirkung auf das Unternehmen und/oder eine negative Wirkung auf Mensch und Umwelt haben[8]. Nur wenn Auswirkungen auf Mensch und Umwelt eine eigenständige Relevanz haben, kann überhaupt von einer Nachhaltigkeitsberichterstattung gesprochen werden.
Mit der Verwendung von einheitlichen Standards würden Berichte nach Schweizer Recht besser mit Berichten von EU-Unternehmen als auch untereinander vergleichbar, was dem Ziel der Vergleichbarkeit der Berichte und der Verbesserung der Datenqualität dient. Wir fordern den Bundesrat deshalb auf, die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) als einheitlichen Standard für alle berichtspflichtigen Unternehmen vorzugeben und damit Klarheit für Unternehmen und Stakeholder zu schaffen. Mit ihren detaillierten Datenpunkten ersparen die ESRS Unternehmen viel Arbeit in der Operationalisierung teils eher abstrakter internationaler Standards. So erhalten Unternehmen konkrete Umsetzungshilfe und Rechtssicherheit und können ihre Ressourcen auf die Erhebung der relevanten Daten fokussieren.
Auch für von der Berichterstattungspflicht indirekt betroffene Unternehmen bringt eine Erweiterung der möglichen Standards keine Vereinfachung – im Gegenteil geht der Bundesrat von Mehrkosten für die indirekt betroffenen Unternehmen aus, werden die Berichterstattungsstandards nicht vereinheitlicht.[9] Die Regulierungsfolgenabschätzung führt dazu aus: «[Die CSRD sieht] eine Standardisierung der Informationen vor, die von den berichtspflichtigen Unternehmen erhoben werden. Das heisst für die mittelbar betroffenen Unternehmen, dass sie die gleichen Informationen im gleichen Format und Umfang an alle ihre Zulieferer und Investoren weitergeben können. Bislang ist es so, dass die Zulieferer von ihren Kunden mit zahlreichen unterschiedlichen Informationswünschen und Fragebögen konfrontiert werden. Wird im Rahmen eines teilweisen Nachvollzugs auf die Vorgabe der von der EU vorgeschriebenen Standards verzichtet, würde dieser Nutzen der Standardisierung wahrscheinlich nicht realisiert werden können. Die mittelbar betroffenen Unternehmen müssten mit Mehrkosten rechnen.»[10]
Art. 964c Abs. 5 VE-OR müsste entsprechend angepasst werden: Die Angaben müssen die in der Europäischen Union verwendeten Standards oder einen anderen gleichwertigen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erfüllen. Der gewählte Standard muss in seiner Gesamtheit für alle Vorgaben dieses Artikels übernommen und im Bericht über Nachhaltigkeitsaspekte genannt werden. Der Bundesrat bezeichnet die Standards.
2.3 Erst der Verzicht auf «Comply or Explain» macht Berichterstattungsvorgaben tatsächlich verbindlich
Gemäss der Vorlage soll es neu nicht mehr möglich sein, dass ein Unternehmen anstatt über seine Nachhaltigkeitsstrategie zu berichten, auch einfach darlegen kann, dass es «kein Konzept» verfolgt (Art. 964b, Absatz 5 OR). Damit wird eine Lücke geschlossen, die die bisherige Regelung komplett unterlief, indem es dem Unternehmen am Schluss freigestellt war, ob es tatsächlich berichten wollte oder nicht.
2.4 Überprüfung der Berichte erhöht Verbindlichkeit und Verlässlichkeit
Neu müssen die pflichtigen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichte von einer Revisionsstelle oder einer Konformitätsbewertungsstelle überprüfen lassen. Diese Vorgabe entspricht der CSRD. Die Prüftiefe wird vom Bundesrat auf Verordnungsstufe festgelegt werden und hat sich gemäss Entwurf an der internationalen Entwicklung zu orientieren (Art. 964cbis Abs. 2 VE-OR). Damit wird die Verlässlichkeit der publizierten Informationen erhöht, was wir begrüssen.
2.5 Individualrechtsschutz und den effektiven Zugang zu einem Gericht
Gänzlich fehlt in der Vorlage, das Recht von Betroffenen für erlittene Schäden vom verantwortlichen Unternehmen Schadenersatz zu verlangen. Dazu braucht es eine dem schweizerischen Recht angepasste zivilrechtliche Haftung für Menschenrechts- oder Umweltschäden, wie sie bereits in der Konzernverantwortungsrichtlinie der EU verankert ist (vgl. insbesondere Art. 79 ff. der Richtlinie). Zudem müsste über Änderungen im internationalen Privatrecht sichergestellt werden, dass in internationalen Verhältnissen Schweizer Recht zur Anwendung gelangt.
Um das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäss Art. 2 Absatz 3 des UNO-Pakts über bürgerliche und politische Rechte und Art. 6 EMRK und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Übereinkommen von Aarhus) zu gewährleisten, werden in der Richtlinie bestimmte praktische und verfahrensrechtliche Hindernisse für den Zugang zu Gerichten, mit denen sich Opfer nachteiliger Auswirkungen konfrontiert sehen, angegangen. Diese in Art. 83 ff. der Richtlinie festgelegten Grundsätze müssen auch in der schweizerischen Gesetzgebung über die Verantwortlichkeit von Unternehmen ihren Niederschlag finden.
3. Fazit
Eine Anpassung der Reporting-Vorgaben (an die EU CSRD) wird der internationalen Entwicklung nicht gerecht. Viel mehr müsste endlich ein politischer Prozess für die Einführung von Sorgfaltspflichten (analog der EU CSDDD) in Gang kommen. Zudem will der Bundesrat auf die Übernahme der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verzichten, worunter die Qualität und Vergleichbarkeit des Reportings der Schweizer Unternehmen leiden würde. Gänzlich fehlt in der Vorlage, das Recht von Betroffenen für erlittene Schäden vom verantwortlichen Unternehmen Schadenersatz zu verlangen. Dies müsste in Ergänzung des Abbaus von Verfahrenshindernissen auch in der schweizerischen Gesetzgebung über die Verantwortlichkeit von Unternehmen ihren Niederschlag finden.
[1] Europäische Kommission, Generaldirektion Justiz und Verbraucher, Torres-Cortés, F., Salinier, C., Deringer, H., Bright, C., et al., Study on due diligence requirements through the supply chain : final report, Publications Office, 2020, https://data.europa.eu/doi/10.2838/39830 (abgerufen am 31.08.2024)
[2] Zitat von Didier Reynders, EU-Justizkommissar, aus: https://responsiblebusinessconduct.eu/wp/2020/04/30/speech-by-commissioner-reynders-in-rbc-webinar-on-due-diligence/ (abgerufen am 31.08.2024)
[3] Gregory Jackson, Julia Bartosch, Emma Avetisyan, Daniel Kinderman, Jette Steen Knudsen. Mandatory Non-financial Disclosure and Its Influence on CSR: An International Comparison. Journal of Business Ethics, Springer Verlag, 2020, 162 (2), pp.323-342. Siehe auch: Konzernverantwortung: Neue EU- Vorschriften können dazu führen, dass Firmen den Umgang mit Menschenrechten und Umwelt schönreden, NZZ, https://konzernverantwortung.ch/wp-content/uploads/2024/06/191205-NZZ-%E2%80%93-Konzernverantwortung-Neue-EUVorschriften-koennen-dazu-fuehren-dass-Firmen-den-Umgang-mit-Menschenrechten-und-Umwelt-schoenreden.pdf
[4] Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die CSDDD bis 2026 in nationales Recht umzusetzen.
[5] BSS Basel, im Auftrag von SECO und BJ, RFA: Nachvollzug der EU Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), Basel 19.02.2024, https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/wirtschaft/gesetzgebung/verantwortungsvolle-unternehmen/regulierungsfolgenabschaetzung-d.pdf.download.pdf/regulierungsfolgenabschaetzung-d.pdf (abgerufen am 31.08.2024), S. 18-19.
[6] Erläuternder Bericht, S. 7.
[7] RFA, S. 30.
[8] Shift Project, CSRD-Reporting Series, I. Double Materiality, August 2023
[9] Erläuternder Bericht, S. 9: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/88435.pdf
[10] RFA, S. vii.