Berner Rückkehrzentren: Verwaltungsgericht verweigert Überprüfung der Anwesenheitspflicht, kippt aber unzulässige Hürde für Privatunterbringung
In einer öffentlichen Sitzung vom 30. Oktober 2025 hat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern über zwei Beschwerden von Nothilfebeziehenden beraten.
Im Zentrum der zwei Verfahren steht die 2019 eingeführte Anwesenheits- und Übernachtungspflicht in kantonalen Rückkehrzentren. Demnach müssen sich Nothilfebeziehende jeden Tag in der Kollektivunterkunft aufhalten und dort übernachten (Nothilfeweisung, Ziff. 2.1). Das Bundesgericht trat mit Urteil vom 21. Februar 2019 auf eine von den Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) und dem Migrant Solidarity Network (MSN) unterstützte Beschwerde (abstrakte Normenkontrolle) nicht ein (s. Medienmitteilungen der djb 1, 2). Dies mit dem Verweis auf die Möglichkeit, zu gegebener Zeit entsprechende Einzelfallbeschwerden einzureichen.
Das kantonale Verwaltungsgericht hatte heute über zwei solche Einzelfallbeschwerden zu entscheiden:
Der erste Beschwerdeführer wurde von der Nothilfe ausgeschlossen, nachdem er mehrmals ausserhalb des Zentrums übernachtet hatte. Das Verwaltungsgericht stützte nun den Nothilfeausschluss. Es erachtete die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht immer in der Kollektivunterkunft übernachtete, als Indiz für dessen fehlende Bedürftigkeit. Die Zulässigkeit der umstrittenen Anwesenheitspflicht prüfte das Verwaltungsgericht hingegen nicht. Zwar wurde in der Urteilsberatung ausgeführt, dass die Verfassungsmässigkeit dieser Pflicht fraglich erscheine. Diese Frage sei aber für die Beurteilung der Beschwerde nicht ausschlaggebend.
Die djb bedauern, dass die Zulässigkeit der Anwesenheitspflicht nun auch vom Verwaltungsgericht nicht überprüft wurde.
„Aufgrund der mit der Anwesenheitspflicht einhergehenden sensiblen Grundrechtseingriffe wäre eine gerichtliche Prüfung dringend angezeigt“, sagt Annina Mullis, Rechtsanwältin und Mitglied der djb.
Dem zweiten Beschwerdeführer verweigerten die Migrationsbehörden die Verlängerung seiner Privatunterbringung bei einer Familie, bei der er bereits während eines Jahres gelebt hatte. Da sich der abgewiesene Asylsuchende nicht um die Ausstellung eines Passes bemühte, verletze dieser seine Mitwirkungspflicht. Die Einhaltung der Mitwirkungspflicht ist gemäss kantonalem Recht Voraussetzung für die Genehmigung einer Privatunterbringung für Nothilfebeziehende. Das Verwaltungsgericht kam nun zum Schluss, dass es unzulässig ist, die Privatunterbringung von der Mitwirkung bei der Passbeschaffung abhängig zu machen. Die Richter*innen bezogen sich in der Beratung mehrfach auf die Diskussion im Grossen Rat zur Einführung der Privatunterbringung. Diese sei darauf ausgerichtet, die Lebensbedingungen von allen Nothilfebeziehenden zu verbessern, bei denen die Wegweisung nicht absehbar ist. Es widerspreche dieser Zielsetzung, wenn die Privatunterbringung durch die Voraussetzung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung auf einen engeren Personenkreis beschränkt werde. Die djb begrüssen, dass das Verwaltungsgericht diese unzulässige Hürde für die Privatunterbringung von Nothilfebeziehenden nun beseitigt hat.