Human Rights Legal Project I Fall hängig
Am 26.08.2020 verliess A.L.M., ein palästinensischer Staatsangehöriger, die Türkei mit anderen Geflüchteten in der Hoffnung, Italien zu erreichen und dort Asyl zu beantragen. Die Gruppe erreichte nie die Küstenlinie und erlitt Schiffbruch. A.L.M. wurde am 26.08.2020 wegen Menschenschmuggel, Gefährdung von Personen durch Schiffbruch und illegaler Einreise verhaftet. Seitdem ist er im Agia-Haftzentrum in Chania, in Kreta, inhaftiert.
Geschehnisse
A.L.M., 1991 in Palästina geboren, verliess am 26. August 2020 die Türkei per Boot in der Hoffnung, Italien zu erreichen und dort Asyl beantragen zu können.
Das Boot schaffte es nicht, die Küste zu erreichen und erlitt Schiffbruch. A.L.M. wurde am selben Tag verhaftet und in die Agia-Haftanstalt in Chania, Kreta, gebracht.
Verfahren
A.L.M. wurde gemäss Artikel 30 Absatz 1(c) und (d) des Gesetzes 4251/2014 (Antimigrationsgesetz) und Artikel 277 des Strafgesetzbuches des illegalen Transportes von Drittstaatsangehörigen aus dem Ausland nach Griechenland unter gefährlichen Bedingungen und der Verursachung eines Schiffbruchs mit der möglichen Absicht der illegalen Einreise beschuldigt.
Danach wurde er vom dreiköpfigen Berufungsgericht zu einhundertfünfundsechzig Jahren und einem Monat Freiheitsentzug verurteilt. In diesem erstinstanzlichen Verfahren war er von einem amtlichen Verteidiger vertreten worden, der nicht die Zeit hatte, eine angemessene Verteidigung aufzubauen.
Mithilfe des Antält:innenteams der Organisation Human Rights Legal Project legte A.L.M. Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein.
Die wichtigste Verteidigungslinie in diesem Fall ist die Frage der territorialen Zuständigkeit. Bei der Berufungsverhandlung am 15. Mai 2023 argumentierte das Anwält:innenteam von A.L.M., dass das Gericht in diesem Fall keine territoriale Zuständigkeit habe, da das Boot in internationalen Gewässern, in der Nähe der Insel Rhodos, Schiffsbruch erlitten habe.
Das Berufungsgericht beantragte daraufhin eine Vertagung des Prozesses, damit die Hafenpolizei den genauen Standort des Schiffbruches ermitteln kann. Die Verhandlung fand am 13. November 2023 statt.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die beiden Honorrare der Anwält*innen, Reisespesen und Gerichtsgebühren. Aufgrund der zweimaligen Vertagung des Prozesses stiegen die Kosten zustätzlich. Der Fall wurde zudem vom Sea Watch Legal Aid Fund finanziell unterstützt.
Foto © Annina Mullis
Legal Centre Lesvos I hängig
B. B. verlor sein Leben in Bodrum, Türkei, nachdem er von der griechischen Insel Kos zurückgeschoben worden war. Aussagen von Zeug:innen, die vor den Pushbacks zusammen mit B. B. in Griechenland festgehalten wurden, lassen darauf schliessen, dass er sein Leben aufgrund von Folter (Schläge, Elektroschocks) während seiner Inhaftierung durch die griechischen Behörden verlor.
Geschehnisse
Die türkische Grenzwache entdeckte am 22. Oktober 2022 ein Rettungsboot in den Gewässern der Ägäis zwischen der Küste von Bodrum, Türkei, und der Insel Kos, Griechenland. An Bord des Rettungsbootes befanden sich fünfzehn palästinensische Flüchtlinge sowie ein türkischer Staatsbürger, B.B.. Letzterer war nur halb bei Bewusstsein. Er schaffte es knapp, die türkischen Beamten nach Wasser zu fragen. Kurz darauf fiel er in Ohnmacht. Als das Rettungsboot mithilfe der türkischen Grenzwache schliesslich an Land ankam, war er bereits tot. Eine Autopsie sollte später die eindeutigen Folterspuren bestätigen, die sein Körper aufwies.
B.B. war zum Zeitpunkt seines Todes 30 Jahre alt und kurdischer Abstammung. Er war in der türkischen Stadt Izmir geboren und aufgewachsen und Ende September in Griechenland angekommen. B.B. hatte vor, nach Frankreich zu reisen, um dort Asyl zu beantragen. Um nicht schon in Griechenland registriert zu werden, vermied er den Kontakt mit den Behörden und versteckte sich bis zu seiner geplanten Weiterreise in Kos im Haus eines Freundes. Er blieb regelmässig in Kontakt mit seiner Familie, doch plötzlich hörten die Anrufe auf.
Nur dank den Aussagen der palästinensischen Flüchtlinge konnten die nachfolgenden Geschehnisse rekonstruiert werden. Diese erzählten, dass sie bei ihrer Ankunft auf Kos am 21. Oktober 2022 von mehreren mit Sturmhauben vermummten und mit Gewehren, Stöcken und Taschenlampen ausgestatteten Personen abgefangen worden waren. Sie wurden mit Handschellen gefesselt. Nachdem man ihnen die Augen verbunden hatte, wurden sie mit Stöcken geschlagen und in einem Fahrzeug zu einem Gebäude gebracht. Dabei handelte es sich um eine aussergerichtliche Haftanstalt. Die Existenz solcher Einrichtungen war bereits durch mehrere journalistische Untersuchungen bestätigt worden.
Die palästinensischen Flüchtlinge beschrieben, dass sie in einen Raum gebracht worden seien, von wo aus sie die Schreie von B.B. aus dem Nebenzimmer hörten. Dieser sei verhaftet worden, als er eine Fähre nach Athen bestiegen habe. B.B. sei die ganze Nacht lang mit grosser Gewalt gefoltert worden. Sie hörten nicht nur die Schläge und Schreie, sondern auch die Geräusche eines Elektroschockgerätes.
Am nächsten Morgen wurden die palästinensischen Flüchtlinge zusammen mit B.B. auf ein Boot der griechischen Küstenwache verladen, um danach auf offener See in einem aufblasbaren Rettungsboot ausgesetzt zu werden.
Verfahren
Die durch die Autopsie belegten Verletzungen von B.B. stimmten mit den Zeugenaussagen überein. Alle acht Gerichtsmediziner kamen einstimmig zum Schluss, dass B.B.’s Tod auf die erlittene Folter zurückzuführen war, wobei jede andere Todesursache ausgeschlossen werden konnte.
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft beantragte Rechtshilfe von Griechenland. Während langer Zeit sind die an Griechenland überwiesenen Akten jedoch nie offiziell bei den griechischen Behörden angekommen. Die Anwält:innen welche die Familie von B.B. unterstützen, befürchteten, dass keiner der beiden Staaten den Fall ernsthaft untersuchen und die schuldigen Personen zur Rechenschaft ziehen will.
Nach monatelangen erfolglosen Anfragen beim griechischen Aussenministerium ist es dem Legal Centre Lesvos am 12. Dezember 2023 schliesslich gelungen, die Akte von B.B. aufzufinden. Diese wurde nun an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Zeugenaussagen von illegal aus Griechenland abgeschobenen Migrant:innen gesammelt, welche den griechischen Behörden übermässige Gewalt und Misshandlungen vorwerfen.
Die «Untersuchung» der griechischen Behörden hat ergeben, dass B.B. nie auf Kos gewesen sei. Es wurden folglich keine Ermittlungen aufgenommen. Weil das LCL annehmen musste, dass die Untersuchung nach der Anzeige zu keinem anderen Ergebnis kommen würde, hat das LCL bereits im April 2025 eine Beschwerde beim EGMR eingereicht. Diese ist aktuell hängig.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die Notariatskosten sowie an Reisekosten für Zeug*inneneinvernahmen.
Foto © Hellenic Coast Guard
Human Rights Legal Project I Fall hängig
Der Fall C.N. und J.A. (Carmel und Junior) betrifft die Zurückweisung von 27 Asylsuchenden aus einer Gruppe von 32 Personen, die am 21. April 2021 auf Samos ankamen. Im September 2021 wurde im Namen von zwei der Pushback-Opfer, C.N. und J.A., Klage eingereicht. Die im Oktober 2021 angeordnete und intern von der Polizei (Internal Affairs) durchgeführte Voruntersuchung konnte jedoch keine Täter ermitteln. Das Verfahren wurde eingestellt. Das HRLP hat Beschwerde beim EGMR eingereicht.
Geschehnisse
Der Fall C.N. und J.A. (Carmel und Junior) betrifft die Zurückweisung von 27 Asylsuchenden aus einer Gruppe von 32 Personen, die am 21. April 2021 auf Samos ankamen. Über diesen Fall wurde auch in verschiedenen internationalen Medien (
Guardian,
Spiegel,
APNews) berichtet. Trotz frühzeitiger Berichte von Einheimischen, NGOs, Anwält:innen und Medien sowie der Aussagen der Opfer des Pushback kam es zu erheblichen Verzögerungen und Behinderungen der Ermittlungen.
Verfahren
Im September 2021 wurde im Namen von zwei der Pushback-Opfer, C.N. und J.A., Klage eingereicht. Die im Oktober 2021 angeordnete und intern von der Polizei (Internal Affairs) durchgeführte Voruntersuchung konnte jedoch keine Täter ermitteln.
Im Laufe von mehr als drei Jahren wurde der Fall von mehreren Staatsanwält:innen und Richter:innen bearbeitet, wobei die Akten mehrfach zwischen ihnen hin- und hergereicht wurden, was die Ermittlungen weiter erschwerte. Trotz zusätzlicher Ermittlungen in den Jahren 2022 und 2023 und Verbindungen zu internationalen Berichten, darunter ein
Berichtvon Human Rights Watch über Pushbacks, blieben die Ermittlungen stagnierend.
Die Untersuchung umfasste zwar Zeug:innenaussagen bestimmter Beamt:innen, allerdings wurden nur Aussagen von hochrangigen Beamt:innen und nicht von denjenigen aufgenommen, die zum Zeitpunkt der gemeldeten Pushbacks tatsächlich im Dienst waren . Die Untersuchung mass den Zusicherungen der Polizei und der Küstenwache, die behaupteten, es habe keinen Vorfall gegeben, unverhältnismässig grosses Gewicht bei. Diese Aussagen wurden ungeprüft akzeptiert, obwohl die Vorwürfe verdeckte und rechtswidrige Praktiken betrafen.
Die Untersuchung versäumte es, diese Aussagen ausreichend zu hinterfragen oder die Aussagen der Opfer gebührend zu berücksichtigen, und beschränkte sich auf eine oberflächliche Befragung der beteiligten Behörden.
Insgesamt war die Untersuchung von Mängeln und Versäumnissen geprägt, und schliesslich wurde der Fall am 17. Juni 2024 eingestellt, da die Untersuchung die Verantwortlichen nicht habe identifizieren können.
Nachdem alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft wurden - da es keine rechtlichen Mittel gibt, um gegen die Entscheidung zur Einstellung eines Verfahrens Berufung einzulegen, ausser durch die Vorlage neuer Beweise, erachtete es das Human Rights Legal Project eine Beschwerde an den EGMR als notwendig.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die rechtliche Expertiese eines griechischen Anwalts, welcher das HRLP bei der Verfassung der Beschwerdeschrift unterstützte.
Foto © Mathias Redinga auf Unsplash
Human Rights Legal Project I Fall abgeschlossen I Freispruch
D.M. und seine schwangere Frau N.M. verliessen Ende August 2022 den Libanon, um internationalen Schutz zu beantragen. Sie verliessen ihr Herkunftsland auf einem libanesischen Schiff in Richtung Italien. Bis heute ist unklar, wie viele Personen sich auf dem Schiff befanden. Nach etwa 6 Tagen auf dem Meer ging der Motor des Schiffes kaputt. Das Boot und seine Insassen verbrachten 14 Tage auf dem Meer, bevor sie gerettet wurden. Sie wurden schliesslich von einem maltesischen Boot geborgen, das sich im maltesischen Such- und Rettungsgebiet befand. Obwohl sich das Schiff in maltesischen Gewässern befand und die Rettungsaktion dort durchgeführt wurde, wurden die Passagiere an Bord auf die Insel Kreta in Griechenland gebracht. Zwei Personen starben während der Such- und Rettungsaktion, als sie in das Wasser stürzten und ertranken. Zusätzlich zu diesen Todesfällen erlitt die schwangere Frau eine Fehlgeburt. Am 7. September 2022 wurde D.M. zusammen mit 9 weiteren Personen, darunter 3 Minderjährige, verhaftet.
Geschehnisse
D.M. ist ein libanesischer Staatsangehöriger, der am 21. September 2001 geboren wurde. Ende August 2022 floh er zusammen mit seiner schwangeren Frau aus dem Libanon, um internationalen Schutz zu erhalten. Sie verliessen ihr Herkunftsland auf einem libanesischen Boot in Richtung Italien. Bis zum heutigen Tag ist unklar, wie viele Menschen auf dem Boot unterwegs waren.
Nach etwa sechs Tagen auf dem Meer ging der Motor des Bootes kaputt. Zu diesem Zeitpunkt waren Lebensmittel und Wasser auf dem Boot bereits knapp. Die Vorräte wurden vom Kapitän des Bootes verwaltet. Um sicherzustellen, dass seine schwangere Frau Zugang zu Lebensmitteln und Wasser erhielt, bemühte sich D.M. um ein gutes Verhältnis zum Kapitän. Er begann auch, ihm zu helfen, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen, damit es nicht sinken würde.
Nach 14 Tage auf dem Meer wurde das Boot schlussendlich von einem maltesischen Schiff gerettet. Obwohl sich das Boot in maltesischen Gewässern befand und die Rettungsaktion in ebendiesen Gewässern durchgeführt worden war, wurden die Passagiere auf die griechische Insel Kreta gebracht. Während der Such- und Rettungsaktion stürzten zwei Menschen vom Boot und ertranken. Zudem erlitt eine schwangere Frau eine Fehlgeburt.
Am 7. September 2022, fast unmittelbar nach der Rettungsaktion, wurde D.M. zusammen mit neun weiteren Personen, darunter drei Minderjährigen, aufgrund eines vorläufigen Haftbefehls verhaftet und in das im Gefängnis von Agia Chania auf Kreta gebracht.
Seit seiner Verhaftung sind D. und N.M. Eltern geworden. Im Januar 2023 kam die gemeinsame Tochter zur Welt, während D.M. in Kreta inhaftiert war. N.M. reiste zu dem für den 19. Juli 2023 angesetzten Prozess nach Kreta, sodass D.M. endlich sein Baby sehen konnte.
Verfahren
D.M. wurde gemäss Artikel 30 Absatz 1(b), (c) und (d) des Gesetzes 4251/2014 (Antimigrationsgesetz) beschuldigt, Drittstaatsangehörige aus Profitgründen und unter gefährlichen Bedingungen illegal nach Griechenland transportiert zu haben. Ihm drohten bis zu 55 Jahre Haftstrafe. D.M. war in keiner Weise an den ihm vorgeworfenen Straftaten beteiligt.
Der Fall sollte zunächst am 6. März 2023 vor dem Berufungsgericht für Strafsachen von Ostkreta in Heraklion verhandelt werden. Seit seiner Verhaftung im September 2022, wurde der Prozess von D.M. bereits sechs Mal verschoben.
Am 22. Januar 2024 fand endlich der Prozess statt. Vor dem dreiköpfigen Berufungsgericht für Strafsachen in Ostkreta machten die Anwält:innen von D.M. geltend, dass die Rettungsaktion in maltesischen Gewässern stattgefunden habe und die griechischen Behörden deswegen nach internationalem Recht nicht für die Verfolgung von D.M. zuständig seien.
Das Gericht folgte diesen Argumenten und D.M. wurde nach eineinhalb Jahren Untersuchungshaft freigelassen.
Mehr Informationen zum Fall finden Sie hier.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die Honorrare der Anwält*innen, Reisespesen und Gerichtsgebühren. Aufgrund der mehrmaligen Vertagung des Prozesses stiegen die Kosten zustätzlich. Der Fall wurde zudem vom Sea Watch Legal Aid Fund finanziell unterstützt.
Captain Support Network I Fall abgeschlossen I Freispruch
Jawhar A. ist ein Flüchtling aus dem Libanon, der sein Herkunftsland auf der Suche nach Schutz und einer besseren Zukunft in Europa verlassen musste. Er kam mit einem Boot nach Europa.
Geschehnisse
Am 15. September 2022 wurde er verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Ihm werden folgende Straftatbestände vorgeworfen:
a) die unrechtmässige Beförderung von 89 Drittstaatsangehörigen vom Ausland nach Griechenland, wodurch eine Gefahr für Menschen bestanden haben könnte,
b) die Beihilfe zur unrechtmässigen Einreise von 89 Drittstaatsangehörigen in das griechische Staatsgebiet,
c) die eigene unrechtmässige Einreise nach Griechenland ohne das erforderliche Recht zur Einreise.
Verfahren
Vor dem erstinstanzlichen Gericht wurde J.A. zu einer Freiheitsstrafe von 270 Jahren und 2 Monaten verurteilt. Besondere Bedeutung erlangt der Fall dadurch, dass die ihm zur Last gelegten Handlungen ausserhalb der griechischen Hoheitsgewässer stattgefunden haben sollen. Daher stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit der griechischen Gerichte in diesem Verfahren.
Der Fall wurde am 18. Februar 2025 vom Berufungsgericht in Kalamata verhandelt. Jawhar A. wurde freigesprochen.
Der Anwalt Alex Georgoulis, der Jawhar A. im Namen des Captain Support Network vertritt, hat bereits mehrere ähnliche Fälle mit seinen Kollegen gewonnen, darunter den spektakulären Fall der Pylos 9.
Unterstützung durch den PBLF
Übernahme der Gerichtsgebühren, der Reisekosten sowie einen Beitrag an die Arbeit des Anwalts.
Foto © Dimitris Kiriakakis
Human Rights Legal Project I Fall hängig
Vier libanesische Männer flohen 2022 mit ihren Familien Richtung Italien, wurden jedoch nahe Karpathos von der griechischen Küstenwache aufgegriffen. Man warf ihnen Schleusung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Das Gericht auf den Dodekanes sprach sie im November 2023 wegen fehlender Zuständigkeit frei. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein, der Fall wurde am 16. Oktober 2024 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt.
Geschehnisse
Drei drei männliche Mitglieder derselben Familie und ein Freund von ihnen, alle aus dem Libanon, flohen im 2022 mit ihren Familien aus dem Libanon, um in Europa Sicherheit zu suchen. Das Ziel ihres Bootes war Italien, aber irgendwo in der Nähe der griechischen Insel Karpathos fiel der Motor aus und sie wurden von einem Boot gerettet und der griechischen Küstenwache (HCG) übergeben.
Die vier Männer werden beschuldigt, 96 Menschen illegal nach Griechenland gebracht zu haben und Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren Ziel die illegale Beförderung von Migranten ist.
Verfahren
Im November 2023 wies das Gericht von Dodekanes alle Anklagen zurück, da es feststellte, dass Griechenland nicht für die Strafverfolgung der Angeklagten zuständig sei, da sie in internationalen Gewässern aufgegriffen worden seien.
Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Berufung ein, und der Fall wurde am 16. Oktober 2024 vor dem Obersten Gerichtshof Griechenlands verhandelt.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die Anwalts- und Reisekosten für den griechischen Supreme Court für die beiden Anwälte, die den Fall gemeinsam verteidigten.
Foto © Matt Hardy auf Unsplash
Naomi Appeal I Fall hängig
Im März 2022 erreichten Naomi, hochschwanger, und ihr Mann Felly mit anderen Asylsuchenden die Insel Samos. Ihr Boot kenterte nach einem Eingriff der Küstenwache, einige Menschen wurden zurückgeschoben. Naomi und Felly überlebten, wurden jedoch drei Tage später von der Hafenpolizei aufgegriffen, misshandelt, ihres Geldes beraubt und zusammen mit Minderjährigen unter unwürdigen Bedingungen im Kofferraum eines Fahrzeugs festgehalten. Trotz akuter Notlage erhielt Naomi erst Stunden später medizinische Hilfe. Sie verlor ihr Kind. Naomi und ihr Ehemann sind durch dentragischen Verlust ihres Babys und den schweren Missbrauch traumatisiert.
Geschehnisse
Im März 2022, als Naomi im 9. Monat schwanger war, erreichte sie und ihr Ehemann zusammen mit einer grösseren Gruppe Asylsuchender die griechische Insel Samos. Ihr Boot wurde von einem Schiff der Hellenischen Küstenwache (HGC) entdeckt. Nach Versuchen der HGC, sie zu stoppen, kenterte das Boot. Einige der Geflüchteten wurden umgehend von griechischen Beamten festgenommen und noch am selben Tag zurückgeschoben. Naomi und Felly gelang es jedoch, das Land zu erreichen und sich in einem Waldgebiet zu verstecken. Drei Tage später wurden sie von Einheimischen gefunden, die Hilfe riefen. Daraufhin traf die Hafenpolizei ein und nahm Naomi und Felly fest. Während ihrer Inhaftierung wurden sie zusammen mit zwei unbegleiteten Minderjährigen im Kofferraum eines Lieferwagens festgehalten. Sie hatten keinen Zugang zu Kommunikationsmitteln und die Bedingungen im Van waren unhygienisch. Weiterhin gaben sie an, dass die Polizei ihnen das wenige Bargeld, das sie bei sich hatten,"konfisziert" bzw. gestohlen und sie körperlich misshandelt hatten. Trotz Naomis offensichtlichem und dringendem Bedarf an medizinischer Hilfe als hochschwangere Frau, wurde sie erst fünf Stunden später ins Krankenhaus gebracht, obwohl sie explizit darum gebeten hatte, einen Arzt aufzusuchen. Ihr Kind starb.
Verfahren
Im Mai 2022 entschieden sich Naomi und Felly, eine Klage gegen die Verantwortlichen einzureichen. Diese Klage umfasste Vorwürfe von rassistischer und körperlicher Gewalt, Diebstahl, Aussetzung in Todesgefahr, Entführung und erzwungenes Verschwindenlassen, illegale Inhaftierung und versuchte rechtswidrige Zurückweisung (Refoulement). Zudem wurde argumentiert, dass diese Vorkommnisse eine Verletzung der Artikel 2, 3, 5, 8, 13 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellten.
Die Klage wurde an das Seegericht verwiesen, da es sich um mutmassliche Handlungen und Unterlassungen von Hafenpolizeibeamten handelte. Die Staatsanwaltschaft des Seegerichts ordnete an, dass die interne Polizei (Internal Affairs) die Voruntersuchung durchführt. Im Mai 2024 folgte jedoch mit der Begründung nicht ausreichender Beweise, die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft.
Nach einer genauen Prüfung der Akten stellte das Rechtsteam des Human Rights Legal Project eine Reihe von Fehlern und Versäumnissen in der Durchführung der Voruntersuchung durch die Polizeibeamten fest, darunter das Fehlen von Vorladungen zur Aussage identifizierter Verdächtiger und der Besatzung der beteiligten Boote, sowie mangelhafte oder unangemessene Übersetzungen. Auch die Bewertung des vorhandenen Materials durch die Staatsanwaltschaft des Seegerichts wurde als unzureichend befunden. Als Reaktion darauf wurde am 30. Juni 2024 Berufung eingelegt.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag für die Arbeit der rechtlichen Expertiese und Abklärung bei der Vorbereitung der Beschwerde, an Gerichtskosten sowie an Gebüren und Auslagen für die Verfassung der Beschwerdeschrift.
Foto © Annina Mullis
iCase KOINSEP und HRLP I Fall abgeschlossen I Freispruch I Strafverfahren gegen griechische Küstenwache hängig
In den frühen Morgenstunden des 14. Juni 2023 sank in einem Gebiet südwestlich von Pylos in Griechenland ein Fischerboot mit ca. 650 bis 700 Menschen an Bord. Abgesehen von 104 Überlebenden werden mittlerweile alle anderen die an Bord waren als tot vermutet. Von den 104 Überlebenden wurden 9 ausgewählt und als Verantwortliche für den Schiffbruch wegen Menschenscmuggel angeklagt. iCase/OmniaTV, eine unabhängige und investigative Journalist*innenplattform recherchiert den Vorfall mit Methoden der forensichen Architektur, um die Anwält*innenteams der 9 Überlebenden bei der Prozessführung zu unterstützen und sicherzustellen, dass alle verfügbaren Beweise und Zeugenaussagen vor Gericht vorgelegt werden.
Geschehnisse
Am frühen Morgen des 14. Juni 2023 kenterte die Adriana, ein stark überladener Fischtrawler, vor der griechischen Küste bei Pylos. Dabei wurden mehr als 600 Menschen in den Tod gerissen. Fünf Tage zuvor war die Adriana von Libyen aus losgefahren. Auf dem Schiff befanden sich mehrheitlich Migrant:innen aus Syrien, Pakistan und Ägypten, darunter auch Kinder.
Menschenrechtsorganisationen befragten 21 Überlebende sowie Angehörige von noch vermissten Personen. Insbesondere wurden auch Vertreter:innen der griechischen Küstenwache, der griechischen Polizei, von Nichtregierungsorganisation sowie der Vereinten Nationen befragt.
Dank der verschiedenen Aussagen konnte festgestellt werden, dass die griechischen Behörden zwischen dem Eingang der ersten Meldung, wonach sich die Adriana in ihrem Such- und Rettungsgebiet befand, und dem Kentern des Bootes fünfzehn Stunden später keine angemessenen Ressourcen für eine Rettung mobilisiert hatten. Dabei waren den Behörden eindeutig bewusst, dass sich die Adriana in einer Notlage befand. Die Überlebenden sagten immer wieder, sie hätten wiederholt um Rettung gebeten, auch bei der Küstenwache selbst.
Das letztendlich durch die Küstenwache entsandte Patrouillenboot war nicht für eine gross angelegte Rettungsaktion ausgerüstet. Es verfügte nur über 43 Rettungswesten, 8 Rettungsringe, 2 aufblasbare Rettungsinseln sowie ein Hilfsschlauchboot. Weitere Mittel wurden nicht mobilisiert, obwohl weitere Schiffe in näheren Häfen zur Verfügung standen.
Die Überlebenden gaben an, dass das Patrouillenboot der Küstenwache ein Seil an der Adriana befestigte und daran zog, wodurch das Boot ins Schwanken geriet und kenterte. Es habe zudem mehrere andere gefährliche Manöver durchgeführt.
Die Rettungsmassnahmen nach dem Kentern wurden viel zu langsam eingeleitet. Somit hat die Küstenwache es versäumt, die Anzahl der geretteten Personen zu maximieren und die Sicherheit der Menschen an Bord zu gewährleisten.
Verfahren
Die laufenden Ermittlungen in Griechenland geben Anlass zur Besorgnis. Die neun angeklagten Überlebenden, die über neun Monate in Haft waren, mussten sich vor einem griechischen Strafgericht verantworten. Ihnen wurde Bildung einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zur illegalen Einreise und Verursachung eines Schiffbruchs vorgeworfen. Im September 2023, zusätzlich zum schon laufenden Strafverfahren, haben jedoch vierzig der Überlebenden beim selben Gericht Klage gegen die griechischen Behörden eingereicht. Auch das Marinegericht hat schon im Juni 2023 eine Untersuchung über die mögliche Verantwortung der Küstenwache eingeleitet.
Seither wurden schwerwiegende Verfahrensmängel festgestellt, welche sich gravierend auf die beiden letzteren Untersuchungen auswirken könnten. So wurden zum Beispiel Mobiltelefone von Überlebenden beschlagnahmt, welche wichtige Beweise zu den Geschehnissen enthalten.
Im Januar 2024 schlossen die griechischen Behörden die Ermittlungen ab und lehnten die weiteren Beweisanträge der Rechtsverteidigung ab.
Am 21. Mai 2024 verhandelte das Dreiergericht in Kalamata den Fall. Da sich die Tragödie in internationalen Gewässern ereignete und der Kutter auf dem Weg nach Italien war, erklärte sich das dreiköpfige Gremium für nicht zuständig. Es folgte damit der Argumentation der Verteidigung. Auch die Vorwürfe der Schlepperei und illegalen Einreise wurden fallen gelassen. Damit bestätigte das Gericht die Position der Verteidigung: Die neun Überlebenden sind unschuldig, ihre monatelange Untersuchungshaft war unbegründet und rechtswidrig.
Nach über elf Monaten unbegründeter und rechtswidriger Haft kamen die Pylos9 jedoch nicht frei. Ein 20-jähriger, dessen Asylantrag bereits zweimal abgelehnt wurde, ist in das Abschiebezentrum Petrou Ralli bei Athen verlegt worden und von einer Deportation nach Ägypten bedroht. Die übrigen acht befinden sich in Nafplio in Polizeigewahrsam und sollen in ein Abschiebezentrum überstellt werden – mit der unbegründeten Annahme, sie könnten fliehen.
Hier gehts zur Pressekonferenz vom 19.06.2025 betreffend den weiteren Verfahren zur Verantwortung der griechischen Küstenwache.
Unterstützung durch den PBLF
Beitrag an die Löhne und Spesen des Teams von iCase KOINSEP sowie für die Arbeit einer Anwältin von HRLP, die das Verteidigungsteam mit juristischem Fachwissen unterstützte, insbesondere bei der Vorbereitung des Arguments zur Unzuständigkeit der griechischen Behörden (siehe auch die von HRLP verfasste rechtliche Analyse zur Unzuständigkeit) und betreffend das Argument zur Ausnahmeregelung von Asylsuchenden von der Kriminalisierung.