Für ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch
Am 7. März hat der Nationalrat eine parlamentarische Initiative, die Schwangerschaftsabbüche nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern in einem Spezialgesetz regeln wollte, abgelehnt.[1] Im Hinblick auf aktuelle politische Entwicklungen in Bezug auf des Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren ist das fatal.
Strafloser Schwangerschaftsabbruch als historischer Fortschritt
2002 stimmten die Schweizer*innen mit einer Mehrheit von 72.2 % nach jahrzentelangem Kampf für die Verankerung der sogenannten Fristenlösung im Strafgesetzbuch. Seither ist der straflose Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche möglich. Nach der 12. Woche gilt die Indikationenlösung; ein*e Ärzt*in muss das Vorliegen einer medizinischen oder sozial-medizinischen Indikation bestätigen. Fristen- und Indikationenlösung sind im strafrechtlichen Sinne Rechtfertigungen, die zur Straflosigkeit führen. Diese Regelung wird von der p Iv. Porchet problematisiert, weil er das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren unverhältnismässig einschränkt und die Kriminalisierung eine Stigmatisierung zur Folge hat. Vorgeschlagen wird eine Verschiebung der Regelung in ein Spezialgesetz. Der Nationalrat hat diesen Minimalvorschlag verworfen, nachdem er im Juni letzten Jahres bereits die Motion Reynard[2] abgelehnt hatte, die eine umfassende Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts von Schwangeren vorsah: Verlangt wurde, dass die im Rahmen der Fristenregelung vorgesehenen Bedingungen, den geltenden Ordnungsvorschriften des Art. 119 Abs. 2, abgeschafft werden.
Backlash
Schon 2012 wurde die Fristenlösung infrage gestellt, indem die Übernahme durch die Krankenkasse per Volksabstimmung zur Dispostion gestellt wurde[3]. Aktuell sind zwei Volksinitiativen hängig, die das geltende Recht einschränken wollen: Eine sieht eine zwingende Bedenkzeit für die Schwangeren vor[4], die andere will Abbrüche verbieten, sobald der Embryo ausserhalb des Uterus mit medizinischer Hilfe lebensfähig ist[5]. In Polen sind seit einem folgenschweren Urteil des Verfassungsgerichts Abtreibungen nahezu vollständig verboten, in Deutschland ist nach wie vor ein eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Verfahren hängig, in dem eine Ärztin wegen der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft zu einer Geldstrafe verurteilt wurde[6] und der US-Supreme Court hob in Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization am 24. Juni 2022 Roe v. Wade auf, was strengere Abtreibungsgesetze in den Bundesstaaten zur Folge hatte.
Grundrechtsverletzung von Schwangeren
Ob und wann allenfalls ein Embryo Grundrechtsträger*in sein kann, ist nach wie vor umstritten. Unzweifelhaft ist aber, dass eine strafrechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen einen schweren Eingriff in die Grundrechte von Schwangeren bedeutet. Betroffen sind reproduktive Selbstbestimmung, Gesundheit und körperliche Integrität. Auch die Diskriminerungsverbote sind relevant: Die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen betrifft cis Frauen häufiger als andere Geschlechter und auf andere Weise als insbesondere cis Männer. Entsprechend ist sie im Kontext von sexistischen und misogynen Stereotypen zu verstehen. Dass eine schwangere Person, die einen Abbruch vornimmt, sich strafbar macht, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen, ist unverhältnismässig. Schwangerschaftsabbrüche sind keine Frage des Strafrechts. Der oberste Gerichtshof von Kanada hat das bereits 1988 erkannt und das entsprechende Gesetz aufgehoben.[7] Es wird Zeit, dass das auch in der Schweiz passiert.[8]
Manuela Hugentobler, Vorstand DJS
[1] Parlamentarische Initiative Porchet 22.432 vom 2. Juni 2022. 22.432
[2] Motion Reynard 20.4140 vom 24. September 2020
[3] BBl 2012 5409
[4] BBl 2021 2921
[5] BBl 2021 2920
[6] Der entsprechende StGB-Artikel soll nun aufgehoben werden: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw19-de-schwangerschaftsabbruch-219a-891910
[7] Supreme Court of Canada vom 28. 1. 1988, Morgentaler, Smoling and Scott v. Th
[8] Siehe dazu auch die Medienmitteilung von Sexuelle Gesundheit Schweiz vom 7. März 2023: https://www.sexuelle-gesundheit.ch/assets/docs/mm/2023.03.07_MM-Initiative-Porchet_DE.pdf