Zum Hauptinhalt springen

logo mobile basel

06. April 2020

Ratschlag Kantonales Bedrohungsmanagement und der entsprechenden Teilrevision des Polizeigesetzes (PolG)

 

I. Vorbemerkungen

Auch wenn die DJS nicht zur Vernehmlassung eingeladen wurden, erlauben wir uns eine Vernehmlas- sungsantwort einzureichen, da die Revisionsvorschläge die Kernthemen unserer politischen Arbeit betreffen. Da wir unsere Rückmeldungen zur geplanten Revision nicht oder kaum in den Fragebogen zur Vernehmlassung passen, nehmen wir gerne in einer eigenen schriftlichen Stellungnahme wie folgt Stellung:

Die Gesetzesvorlage zum Bedrohungsmanagement hat zum Ziel, zielgerichtete schwere Gewalt zu verhindern, indem eine krisenhafte Entwicklung vorzeitig erkannt und durch gesetzlich vorgesehene Massnahmen unterbrochen werden kann. Art. 10 BV1 und Art. 2 und 3 EMRK2 garantieren das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. Diese Rechte vermitteln nicht nur einen Abwehranspruch gegen Übergriffe des Staates, sondern begründen auch staatliche Schutzpflichten gegen Übergriffe von Privatpersonen. Indem der Staat präventive Massnahmen zum Schutz vor Gewalt, insbesondere auch zum Schutz vor häuslicher Gewalt, ergreift, kommt er dieser Verpflichtung nach. Andererseits muss der Staat dabei die Grundrechte der betroffenen Perso- nen wahren; es sind nur solche Massnahmen zulässig, die erforderlich, zweckmässig und verhältnismässig sind. Präventive Massnahmen gegen Gewalt müssen insbesondere auch die Garantien eines fairen Verfahrens nach Art. 29–32 BV und Art. 6 EMRK wahren. Mit Blick auf diesen grund- und menschenrechtlichen Hintergrund ist zu begrüssen, dass sich das Bedrohungsmanage- ment auf schwere, zielgerichtete Gewalt beschränkt. Dennoch geht die Vorlage aus Sicht der DJS in mehrerer Hinsicht zu weit.

II. Detaillierte Anmerkungen

  1. Ansiedlung bei der Polizei
    Die neue Fachstelle soll bei der Kantonspolizei angesiedelt werden, was mit einer Ausweitung der polizeilichen Aufgaben bzw. Kompetenzen einhergeht. Wir sehen die Ansiedlung bei der Polizei sehr kritisch, da es ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Polizeiarbeit hin zu einer sekundären Prävention darstellt, welche parallel zum Strafrecht verläuft und die Grundrechte von Personen stark einschränkt, obwohl sie keine Straftat begangen haben und möglicherweise auch nie eine begehen werden bzw. begangen hätten. Im Unterschied zum Strafverfahren stehen der betroffenen Person gegenüber der polizeilichen Tätigkeit nicht die gleichen Teilnahme- und Verteidigungsrechte zu.
    Die Polizei ist nicht die einzige Behörde, die (sekundär) präventiv arbeitet und Straftaten verhindern kann. Es gibt im Kanton auch andere Stellen, die mit der Verhinderung von Gewalt betraut sind und deren Fachpersonen in der sozialen Arbeit, Psychologie, Psychiatrie und Medizin über das nötige Know-how verfügen. Eine solche Fachstelle könnte daher auch von einer anderen Behörde, beziehungsweise von einem anderen Departement betrieben werden und wäre ebenso geeignet, Gewalt zu verhindern. Wenn Gefahr in Verzug ist, kann beziehungsweise muss die Polizei eingreifen, welche selbstverständlich mit der Fachstelle zusammenarbeiten könnte.
    Unabhängig davon, wo die Fachstelle zukünftig angesiedelt wird, braucht es eine politische Aufsicht, wofür eine eigene Kommission eingesetzt werden könnte. Zudem muss die Fachstelle gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig sein.
  2. Geltungsbereich
    Gemäss Ratschlag bezweckt das Bedrohungsmanagement die Verhinderung potentiell schwerer zielgerichteter Gewalt. Es wurde jedoch bewusst darauf verzichtet, in § 2 Abs. 1 Ziff. 2bis E-PolG den Begriff der schweren Gewalt bzw. die Beschränkung auf ebendiese zu nennen. Die Begründung, wonach "erst nach der Falleröffnung vertiefte Abklärungen vorgenommen werden können, die es anhand einer Gefährdungsanalyse erst ermöglichen abzuschätzen, wie hoch die Gefährdungssituation ist"3, überzeugt nicht. Die Grundrechtseinschränkung liegt bereits bei der Falleröffnung vor, wenn das Gefährdungspotential abgeklärt wird, zumal bereits dann Daten gesammelt und bearbeitet werden. Zudem bildet der Paragraph die gesetzliche Grundlage für die Behörden, um die «geeigneten Massnahmen» zu ergreifen, weshalb bereits im Gesetzestext die Voraussetzungen für das Ergreifen einer Massnahme feststehen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Begriff der Massnahme sehr offen ist formuliert ist. Aus dem Gesetzestext wird nicht klar, welches die «entsprechende Massnahmen» sind. Gemäss Ratschlag fallen darunter mehrere potentielle Massnahmen, wovon insbesondere die Ansprache auch nicht freiwillig erfolgen kann, weshalb bereits im Gesetzestext zum Ausdruck kommen muss, dass es nur um die Verhinderung von potenziell schwerer Gewalt geht. Die Datensammlung darf nur bei einer Gefährdung schwere Gewalt betreffend angewendet werden.
    Ausserdem leidet der §2 Abs. 1 Ziff. 2bis E-PolG in der jetzigen Form noch an einer weiteren unpräzisen Formulierung. Es ist nämlich nicht klar, ob es darum geht, die «Gewaltbereitschaft» der gefährdenden Person oder die Gefährdung der Integrität einer anderen Person zu verhindern. Dies mag auf den ersten Blick als Detail erscheinen, kann jedoch im Einzelfall bei der Frage, was die entsprechende beziehungsweise geeignete Massnahme ist, sehr wohl relevant sein.

  3. Zum Begriff der gefährdenden Person
    Die Vorlage bedient sich dem problematischen Begriff der «gefährdenden Person». Dieser Begriff wurde zwar bereits mit der letzten Revision in das Polizeigesetz in den § 37b PolG und §37g PolG als Rechtsbegriff eingeführt. Mit der vorliegenden Vorlage soll der Anwendungsbereich dieses Begriffs jedoch nochmals ausgeweitet werden. Wie auch der Begriff der «potentiell gefährlichen Person» als Rechtsbegriff, welcher auf dem Entwurf des Bundesgesetzes über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) basiert, handelt es sich auch hierbei um ein umfassendes Konzept, das der Polizei neue weitreichende Kompetenzen gibt. Die Begriffe sind als Rechtsbegriffe problematisch, weil sie auf der Grundlage von Hypothesen von Behördenmitgliedern auch unbescholtene Personen ins Visier nehmen können und Massnahmen ausserhalb der eigentlichen Strafverfolgung zulassen. Dadurch werden die Grundrechte der Betroffenen erheblich eingeschränkt.
    Es findet durch dieses Konzept der gefährdenden Person auch eine Vermischung von Instrumenten statt, die sowohl vor häuslicher Gewalt schützen wie auch zur Terrorbekämpfung und zur Verhinderung von Radikalisierung und Bedrohungen durch Amokläufer eingesetzt werden sollen.
    Des Weiteren bestehen Bedenken im Hinblick auf die Risikoeinschätzung durch die involvier- ten Fachstellen. So werden als Risikofaktoren fast ausschliesslich solche finanzieller Natur genannt.4 Damit drohen Personen als «Gefährder» ins Visier der Behörden zu geraten, die bisher nie im Zusammenhang mit Gewalt aufgefallen sind5, bloss weil sie Schwierigkeiten haben, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Finanzielle Schwierigkeiten können als Stressfaktor mit einem erhöhten Gewaltrisiko einhergehen, doch lässt ein zu starker Fokus auf die finanzielle Situation ausser Acht, dass Gewalt ein gesellschaftsübergreifendes Problem ist und häufig auch hinter der Fassade «gutbürgerlicher» Existenzen auftritt.6
    Bei der Anwendung des Rechtsbegriffs der gefährdenden Person besteht auch sonst ein erheb- liches Risiko, dass es zu Diskriminierung bestimmter Personengruppen kommt. Im Unterschied zum Strafverfahren braucht es keinen konkreten Tatverdacht. Wenn eine Kombination von Merkmalen durch Vorurteile dazu führt, dass bei einer Person nur aufgrund bestimmter Merkmale auf eine «Gewaltbereitschaft» erkannt wird, dann werden letztlich aufgrund eines Generalverdachts präventive Massnahmen eingeleitet.
    Dies ist sehr problematisch, da die Folgen für die Betroffenen sehr einschneidend sein können. Diesem Problem muss bei der Schulung der Fachpersonen besonders Rechnung getragen werden.

  4. Melderecht und Auskunftsrecht, insbesondere von dem Berufsgeheimnis unterstehenden Personen
    § 61a Abs. 1 E-PolG sieht vor, dass öffentliche Organe nach § 3 Abs. 1 IDG7 berechtigt sind, der für das Bedrohungsmanagement zuständigen Stelle Personen zu melden, von denen eine Gefahr ausgeht. Das gleiche Melderecht besteht gemäss § 61a Abs. 2 E-PolG auch für Personen nach § 21 GesG8, für juristische Personen des Privatrechts, sofern sie Aufgaben im Bereich eines gesetzlichen Obligatoriums haben oder Finanzdienstleistungen erbringen, und für Organisationen mit sozialem, präventivem oder unterstützendem Zweck oder Religionsgemeinschaften. § 61a Abs. 4 E-PolG hält fest, dass das Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB9 einer Meldung und Auskunft nicht entgegensteht.
    Aus der gesetzlichen Formulierung wird nicht vollends klar, ob sich die Befreiung vom Berufsgeheimnis gemäss § 61a Abs. 4 E-PolG nur auf diejenigen Personen und Organisationen bezieht, die in § 61a Abs. 1 und 2 E-PolG genannt werden, oder ob sämtliche Personen, die dem Berufsgeheimnis im Sinne von Art. 321 StGB unterstehen – also namentlich auch Rechtsanwält*innen – gegenüber der für das Bedrohungsmanagement zuständigen
    Stelle zur Meldung berechtigt sein sollen. Der Ratschlag lässt eher Letzteres vermuten, zumal zu § 61a Abs. 4 Folgendes ausgeführt wird: § 61a Abs. 4 verdeutlicht, dass Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktiker, Apotheker, Hebammen, Psychologen und ihre Hilfspersonen nicht nach Artikel 321 StGB für die Verletzung des Berufsgeheimnisses bestraft werden, wenn sie mit der zuständigen Stelle für Bedrohungsmanagement zusammenarbeiten, da sich nicht strafbar macht, wer so handelt ‹wie es das Gesetz gebietet› (Art. 14 StGB).10
    Sofern mit § 61a E-PolG auch Rechtsanwält*innen zur Meldung von Personen, von denen eine Gefahr ausgehen könnte, berechtigt werden sollen, ist dies aus Sicht der DJS inakzeptabel. Durch ein solches Melderecht würde das Berufsgeheimnis von Anwält*innen gegenüber der innerhalb der Kantonspolizei für das Bedrohungsmanagement zuständigen Stelle faktisch aufgehoben. Die Berufsausübung von Anwält*innen würde dadurch erheblich beeinträchtigt. Die effektive Wahrung der Rechte der Mandant*innen setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen der Anwält*in und der Mandant*in voraus. Mandant*innen müssen sich darauf verlassen können, dass Gespräche mit ihrer Anwält*in vertraulich bleiben und dass der Gesprächsinhalt gegenüber Dritten nicht ohne ihr Einverständnis of- fengelegt wird. Dies ist nicht gewährleistet, wenn die Anwält*in zu einer Gefährdungs- meldung berechtigt sind. Besonders heikel erscheint das Melderecht im Bereich der Straf- verteidigung. Es ist zentral, dass sich die beschuldigte Person darauf verlassen kann, dass Äusserungen zu allfälligen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen vertraulich bleiben; es besteht ansonsten die Gefahr, dass die beschuldigte Person wichtige Informationen zurückbehält und eine effektive Verteidigung nicht gewährleistet werden kann. Die Einführung eines Melderechts würde dieses Vertrauen unterlaufen, da Anwält*innen nicht wie bisher strikte an das Berufsgeheimnis gebunden wären. Allein schon die Möglichkeit, dass ein Melderecht besteht, würde Anwält*innen zudem unter Druck setzen und sie einem Loyalitätskonflikt aussetzen.
    Ein Melderecht von Anwält*innen besteht bisher einzig im Falle einer Gefährdung der körper- lichen, psychischen oder sexuellen Integrität eines Kindes (Art. 314c ZGB11). Ein über Art. 314c ZGB hinausgehendes Melderecht lehnen die DJS ab.
    Im Übrigen ist im Hinblick auf die Kompetenzausscheidung zwischen dem Bund und den Kantonen auch fraglich, ob es überhaupt zulässig ist, das Berufsgeheimnis der An- wält*innen in einem kantonalrechtlichen Erlass aufzuweichen, zumal das Anwaltsge- heimnis in Art. 13 BGFA12 auf Bundesebene verankert ist.

  5. Datenbearbeitung, Datenaustausch
    Der vorliegende Entwurf ist nach Ansicht der DJS in einem weiteren Punkt noch mangelhaft. Im Ratschlag ist die Rede von einem Informationsaustausch, der zwischen den beteiligten Behörden stattfinden soll. Im Gesetzestext kommt jedoch nicht näher zum Ausdruck, wie umfassend dieser Austausch ist, welche Daten davon betroffen sind, konkret: Welche Daten darf die Fachstelle an welche Behörde beziehungsweise Private weitergeben.
    Der Polizei stehen gemäss § 61b E-PolG weitgehende Befugnisse zur Sammlung von Daten über die als gefährdend eingestufte Person zu, ohne dass gegen diese ein konkreter Tatverdacht vorliegen müsste. Sie kann bei zahlreichen Behörden, die sensible Daten bearbeiten, wie namentlich bei Gerichten, Bildungsinstitutionen, sowie Gesundheits- und Sozialhilfebehörden Auskünfte einholen (§ 61b Abs. 3 E-PolG). Die Polizei kann zudem auch ohne Einwilligung der als gefährdend eingestuften Person Auskünfte in deren sozialen Umfeld einholen (§ 61b Abs. 4 E-PolG). Dabei stehen der als gefährdend eingestuften Person zwar die Einsichtsrechte gemäss IDG zu, doch kann die Einsicht in die eigenen Personendaten gemäss den datenschutzrechtlichen Grundsätzen eingeschränkt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen der Einsicht entgegenstehen (§ 15 Abs. 1 und § 29 IDG, vgl. dazu unten Ziff. 8). Die strafprozessualen Akteneinsichts- und Teilnahmerechte sind nicht gewahrt. Aus Sicht der DJS müsste daher gewährleistet sein, dass die im Rahmen des Bedrohungsmanagements angelegten Daten keinen Eingang in ein allfälliges Strafverfahren finden. Dies ist in der aktuellen Vorlage nicht der Fall. Sie verletzt daher aus Sicht der DJS das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK.
    Daher braucht es unbedingt noch weitere Präzisierungen und Einschränkungen, welche Daten die Fachstelle an welche Behörden weitergeben kann. Dies, da es sich um sehr sensible Personendaten handelt und diese gemäss dem jetzigen Entwurf sogar an eine Behörde im Ausland weitergegeben werden könnten. Sowohl die Daten wie auch die am Datenaustausch beteiligten Behörden sind auf das absolut Notwendige zu beschränken.
    Ausserdem regen wir an, § 61b Abs. 4 und Abs. 5 zu streichen. Es ist problematisch, wenn das soziale Umfeld befragt wird und Personen, welche der betroffenen Person ohnehin nicht wohlgesinnt sind oder Partikularinteressen verfolgen, den Behörden falsche Angaben geben. Die Fachstelle sollte sich auf die Auskünfte von offiziellen Stellen und Fachpersonen beschränken und so dem Denunziantentum keinen Vorschub leisten. Es besteht ausserdem die Gefahr, dass die betroffenen Personen ihr Vertrauen in den Staat verlieren und sich ausspioniert fühlen, was zu querulatorischem Verhalten oder im schlimmsten Fall zu Gewaltbereitschaft führen kann.

  6. Massnahmen und Auskunft gegenüber der gefährdeten Person
    In Bezug auf die Datenweitergaben bestehen ähnliche Bedenken auch im Hinblick auf die Möglichkeit der «Ansprache» von als gefährdend eingestuften Personen gemäss § 61c E- PolG. Macht eine als gefährdend eingestufte Person im Rahmen einer «Ansprache» im Glauben oder in der Hoffnung, Hilfe zu erhalten, Aussagen gegenüber der Polizei oder gegenüber anderen Behörden, besteht die Gefahr, dass diese in einem allfälligen späteren Strafverfahren gegen sie verwendet werden könnten. Dies könnte den Grundsatz nemo tenetur verletzen, wonach niemand verpflichtet oder dazu gedrängt werden darf, sich selbst zu belasten.
    Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass gemäss § 35 Abs. 2 EG StPO13 keine Anzeigepflicht für Personen besteht, deren behördliche oder dienstliche Tätigkeit ein besonderes Vertrauensverhältnis zu einer an der Straftat beteiligten oder von ihr betroffenen Per- son voraussetzt. Gemäss Ratschlag der Regierung zur Revision des Polizeigesetzes14, mit welcher die «erweiterte Gefährderansprache» (§ 37b bis 37g PolG) eingeführt worden ist, muss insbesondere die Bewährungshilfe, welche mit der Durchführung der erweiterten Gefährderansprache im Bereich der häuslichen Gewalt betraut ist, gestützt auf § 35 Abs. 2 E-StPO keine Meldung von Straftaten machen, wenn sie im Rahmen einer Ansprache davon Kenntnis erhalten. Die Ansprache kann nur dann ihren Zweck erreichen, wenn ein Vertrauensverhältnis besteht. Der Fokus liegt beim Instrument der Ansprache stets auf Zukünftigem, also der Verhinderung von weiteren Straftaten, und nicht auf Geschehenem, was auch für die Ansprachen im Rahmen des Bedrohungsmanagements gilt.
    Die DJS regen daher an, den vorliegenden Entwurf dahingehend anzupassen, dass die Behörden die im Rahmen einer Ansprache gemachten Aussagen nicht an die Strafverfolgungs- behörden weitergeben dürfen, da sonst der Zweck der Ansprache verfehlt/vereitelt werden würde.
    Im jetzigen Entwurf von § 61c E-PolG bleibt zudem völlig unklar, welche konkreten Daten an die gefährdeten Personen weitergegeben werden dürfen, wenn diese «auf die Gefähr- dungslage angesprochen» wird. E contrario zu § 61f E-PolG wird dabei an mehr gedacht, als nur «die Art der Erledigung der Meldung». Wenn es um Daten geht, welche die gefährdete Person später für eine Strafanzeige oder beim Zivilgericht für ein Annäherungsverbot verwenden kann, dann muss diese Frage zwingend im Gesetz klar geregelt werden.

  7. Massnahmen gegenüber der gefährdenden Person
    Explizit begrüsst wird, dass die einzige neue, nicht freiwillige Massnahme, welche gemäss § 61d E-PolG eingeführt werden soll, die Gefährderansprache ist und keine weitergehen- den Massnahmen, wie etwa die verdeckte Vorermittlung, wie sie der Kanton Zürich kennt, eingeführt werden sollen. Dennoch sind wir der Ansicht, dass auch die Ansprache selbst nur auf freiwilliger Basis erfolgen sollte und insbesondere keine polizeiliche Vorladung und Vorführung möglich sein sollen. Auch ist der Entwurf noch zu unklar in Bezug auf die «ähnlichen Massnahmen». Was wird darunter genau verstanden? Wir regen an, dies auszuformulieren oder ganz wegzulassen.

  8. Auskunft gegenüber der gefährdenden Person

    Die Auskunftsrechte gemäss § 61e Abs. 1 E-PolG sind viel zu schwach, insbesondere vor dem Hintergrund von § 61g E-PolG (siehe dazu unten). Gemäss § 29 IDG kann ein Auskunfts- anspruch verweigert werden, wenn ein privates oder öffentliches Interesse dem gegenübersteht. Dies kann zum Beispiel damit begründet werden, dass durch die Auskunft polizeiliche Massnahmen beeinträchtigt werden, und könnte leicht dazu führen, dass die Auskunft verweigert wird.

  9. Löschung der Daten
    Die DJS lehnen es ab, dass ein erfasstes Ereignis gemäss § 61g E-PolG erst «nach rund 3 Jahren» gelöscht wird, dies selbst dann, wenn nach dem erfassten Ereignis, das heisst nach der ersten Gefährderansprache, festgestellt werden konnte, dass gar keine Gefahr besteht. Diese Dauer ist unverhältnismässig, da selbst bei einer «Falschmeldung» über drei Jahre lang sensible Daten der Betroffenen gespeichert werden. Die Daten müssen vielmehr un- mittelbar gelöscht werden, sobald feststeht, dass keine Gefährderansprache nötig ist.

  10. Vernehmlassungsverfahren
    Schliesslich erlauben wir uns an dieser Stelle eine kritische Bemerkung zum Vernehmlassungsverfahren beziehungsweise zum Kreis der offiziell eingeladenen Organisationen und Institutionen. Die DJS Basel wurden nicht zur Vernehmlassung eingeladen, obschon wir in der Regel zu Vernehmlassungen des JSD eingeladen werden und der vorliegende Ratschlag ein Kernthema des Vereins betrifft. Ebenfalls wurde die Advokatenkammer Basel-Stadt nicht offiziell eingeladen, was vor dem Hintergrund der vorgeschlagenen Än- derung in § 61a E-PolG erstaunt, da die vorgeschlagenen Änderungen direkte Folgen für den Berufsstand haben könnte.

III. Schlussbemerkung

Aufgrund der oben genannten Erwägungen stehen die DJS einem kantonalen Bedrohungsmanagement äusserst kritisch gegenüber und können es so, wie es gemäss Vorentwurf vorgesehen ist, nicht un- terstützen. Zwar stellt die Gewaltprävention auch für die DJS eine wichtige Aufgabe dar. Der Staat darf seiner Schutzpflicht aber nicht mit allen Mitteln nachkommen, sondern muss auch hier verhältnismässig vorgehen und nicht über das Ziel hinaus schiessen. Mit der hier vorgesehen Er- weiterung der polizeilichen Aufgaben und der viel zu offenen Gesetzesgrundlage bezüglich des Datenaustausches ist dies hier aber leider der Fall. Eine effektive Gewaltprävention ist auch mit einem geringeren Datenaustausch und ohne Erweiterung der polizeilichen Aufgaben möglich.

1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).

2 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (SR 0.101).

3 Entwurf für öffentliche Vernehmlassung zum Ratschlag Kantonales Bedrohungsmanagement. Teilrevision des Polizeige- setzes (PolG) sowie Bericht zum Anzug Ursula Metzger und Konsorten betreffend Bedrohungsmanagement und Bericht zum Antrag Katja Christ und Konsorten betreffend Massnahmen gegen Stalking, Geschäftsnummer 18.1673.01, S.17.

4 Entwurf für öffentliche Vernehmlassung zum Ratschlag Kantonales Bedrohungsmanagement - Teilrevision des Polizei- gesetzes (PolG) sowie Bericht zum Anzug Ursula Metzger und Konsorten betreffend Bedrohungsmanagement und Be- richt zum Antrag Katja Christ und Konsorten betreffend Massnahmen gegen Stalking, Geschäftsnummer 18.1673.01, S.13.

5 Beispielsweise Tätlichkeiten oder Drohung mit Gewalt.

6 Vgl. Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Informationsblatt Nr. 19, Häusliche Gewalt im Migrationskontext, Oktober 2019, S. 1, 17.

7 Gesetz über die Information und den Datenschutz vom 09.06. 2010 (SG 153.260).

8 Gesundheitsgesetz vom 21.09.2011 (SG 300.100).

9 Schweizerisches Strafbesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0).

10 Entwurf für öffentliche Vernehmlassung zum Ratschlag Kantonales Bedrohungsmanagement - Teilrevision des Polizei- gesetzes (PolG) sowie Bericht zum Anzug Ursula Metzger und Konsorten betreffend Bedrohungsmanagement und Be- richt zum Antrag Katja Christ und Konsorten betreffend Massnahmen gegen Stalking, Geschäftsnummer 18.1673.01, S.19.

11 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210).

12 Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom 23. Juni 2000 (SR 935.61).

13 Gesetz über die Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 13.10.2010 (SG 257.100).

14 Regierungsratsbeschluss vom 18. September 2018. Ratschlag zur Revision des Gesetzes betreffend die Kantonspolizei des Kantons Basel- Stadt (Polizeigesetz, PolG) und Bericht zum Anzug Brigitta Gerber und Konsorten betreffend "Aus- arbeitung eines Gewaltschutzes für den Kanton Basel-Stadt" sowie Bericht zum Anzug Ursula Metzger und Konsorten betreffend "Einführung einer Legaldefinition der häuslichen Gewalt im Polizeigesetz, Geschäftsnummer 18.1285.01